In der Stadthalle Aalen in der Ostalb trafen sich Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg zum ersten Mal als Regierungspartei. Eine der Hauptaufgaben war die Wahl einer neuen Parteispitze: Silke Krebs als Staatsministerin trat, anders als der Landesvorsitzende Chris Kühn, nicht mehr an, als ihre Nachfolgerin kandidierte die Stuttgarter Bildungspolitikerin Thekla Walker. Diese wurde mit deutlicher, Chris Kühn mit überwältigender Mehrheit (199 von 207 Stimmen) gewählt. Auch darüberhinaus gab es für Landesvorstand und Parteirat viele Kandidaturen.
Zu Beginn sprach als Gastredner vom Koalitionspartner SPD der Justizminister Rainer Stickelberger: Der bekennende Stuttgart 21-Kritiker Stickelberger lobte die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Verkehrsminister Winfried Hermann beim Ausstiegsgesetz. Mit dem grünen Landtagsabgeordneten Josha Frey arbeite er gemeinsam an der Schliessung des maroden französischen Atomkraftwerks Fessenheim, "eine wichtige Aufgabe". Ausserdem vertrat er: "Weiter gemeinsam werben für Rotgrün".
Regierungserklärung an die eigene Partei
Ministerpräsident Winfried Kretschmann erklärte, die erste grüne Regierung der Welt habe Wellen geschlagen. Das Land stelle sich international klar als Teil des europäischen Verbunds auf: "Gerade jetzt in der Krise wird deutlich, dass wir ein stärkeres Europa brauchen. (...) Nur mit einem vereinigten Europa können wir unsere Werte einbringen, gestalten, etwa die Nachhaltigkeit voranbringen"
Erneut hob er, gerade angesichts des Parteitags-Mottos, seine "Politik des Gehörtwerdens" hervor. Er nenne es bewusst nicht eine Politik des Zuhörens, "damit die, die uns etwas zu sagen haben im Mittelpunkt stehen, und nicht wieder wir selber."
Der im Bundesrat mitverhandelte Atomausstieg sei "ein großer und epochaler Erfolg, dass eine große Industrienation diesen Weg gegangen ist, sich endgültig von der Atomkraft zu verabschieden." Jetzt sei aber gerade die neue Landesregierung gefordert: "Wir müssen zeigen, gerade wir in Baden-Württemberg, dass wir die Profis der Energiewende sind!"
Damit seien auch Arbeitsplätze im Land zu halten und auszubauen, Jobs auch für die nächste Generation. Aber: "Das wird nur gelingen, wenn wir es schaffen im Kernbereich der Landespolitik, der Bildungspolitik, alle Talente zu heben... (...) Bildung, Bildung und nochmals Bildung eines der Kernanliegen dieser Regierung."
Mehr Europa, nicht weniger, gegen die Krise
Der Bundesvorsitzende Cem Özdemir sprach zunächst dem in Aalen anwesenden Berliner Fraktionsvorsitzenden Volker Ratzmann seinen Respekt für die dortigen Verhandlungsbemühungen aus, um dann doch die dort, anders als in Baden-Württemberg, nicht als Koalitionspartner zur Verfügung stehende SPD anzugreifen: "Fortschritt bemisst sich bei der SPD -nicht bei allen, aber bei vielen- immer noch darin, möglichst viel Beton zu verbauen. Da frohlockt das Herz des Sozialdemokraten."
Dann aber widmete er sich dem Thema Europa, das gerade auch bei Parteitag der CSU problematisiert worden war: "Wir gewinnen mit Europa, nicht gegen Europa. Die CSU versucht das umgekehrt, aber sie wird damit gegen die Wand fahren." Er fuhr fort: "Regierungen sind dafür da, die Finanzmärkte an die Kette zu legen, bevor sich die letzten von Europa abwenden. Wir brauchen starke Banken, aber wir brauchen keine Banken die Zocken". Eine Finanztransaktionssteuer sei notwendig, "gerne global, meinetwegen Milchstrasse, aber wenn das nicht geht, dann in der EU der 27 Nationen". Und wenn das nicht gehe, seien die 17 Länder der Eurozone gefordert. "Das ist die Antwort auf die Krise: nicht weniger, sondern mehr Europa"
Eine europäische Wirtschaftsregierung sei gefragt, jedoch nicht als Teil des Rates der sich gelegentlich trifft, sondern als Aufgabe der Kommission, dazu das direkt gewählte Europaparlament stärken. "Da ist das Korrektiv für die Kompetenzen die wir nach Europa abgeben."
Der Bundestagsabgeordnete Fritz Kuhn unterstützte die Kritik an der CSU: "Die spielen mit dem Feuer, was Europa angeht".
Die Europaabgeordnete Heide Rühle wandte sich gegen Behauptungen, die Grünen hätten im Europaparlament gegen den Stabilitätspakt gestimmt. "Wir haben als Grüne mit all unseren europäischen ParlamentskollegInnen geredet (...) und gemeinsam beschlossen, drei Teilen des Sixpacks zuzustimmen. Dazu gehört die ganze Stärkung des Stabilitätspakts." Zur Wirtschaftsregierung erklärte sie: "Wir wollen nicht, dass Europa durch Merkel regiert wird. Europa hat seine Institutionen, hat die Kommission und das Parlament, da werden die Entscheidungen getroffen, das soll nicht in einem Duo zwischen Frau Merkel und Herrn Sarkozy entschieden werden."
Der Ausstieg aus Stuttgart21 und der Volksentscheid
Ein klares Signal dieses grünen Landesparteitags ist, vielleicht wenig überraschend, das JA zum Ausstieg aus Stuttgart 21 beim noch im Herbst anstehenden (siehe Bild rechts). Staatsrätin Gisela Erler stellte den Volksentscheid als Modell, als ersten Schritt für eine stärkere Bürgerbeteiligung im Land vor. Der Rahmen für Bürgerbeteiligung und Transparenz werde sich durch viele Dinge, etwa Wikileaks, Open Data und eine Stärkung des Bürgerengagements verändern: "Wir werden liefern, wie werden bald liefern. Das wird zunächst das Bürgerentscheidgesetz. Das ist ja wichtig dass die Quoren gesenkt werden." Sie fasste zusammen: "Dieser Bahnhof ist nicht alles, was unsere Bürgerbeteiligung ausmacht."
Dem Bahnhof selbst widmete sich Verkehrsminister Winfried Hermann in einer energischen Rede, in der er klarstellte, dass ein Kompromiss vielleicht wie von Heiner Geißler vorgeschlagen, aber nicht im alten Tiefbahnhofkonzept bestehen könnte. Die Kopfbahnhofbefürworter haben, so Hermann, wie Schlichtung und Stresstest gezeigt hätten, die besseren Argumente, für die es sich zu kämpfen lohne. Und er stellte klar: Egal wie der Volksentscheid ausgehe, der Deckel von 4,5 Milliarden bleibt. Für seine bisherigen Bemühungen im schwierigen Amt wurde Minister Hermann mit langem stehenden Applaus belohnt. Marcel Emmerich, Landessprecher der Grünen Jugend, erklärte dazu: "Wir werden kämpfen bis zur letzten Minute, um das ganze Land von den wirklich besseren Argumenten zu überzeugen." Er rechne damit, die Mehrheit im Volksentscheid zu gewinnen, selbst wenn das Quorum nicht erreicht werden sollte.