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POLITIK

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Nordkorea: Experten im Interview zur aktuellen Situation

Immer stärkere Drohungen hat Nordkorea in den letzten Wochen gegen den benachbarten Süden und die USA ausgesprochen. Vorläufige Höhepunkte sind die Schließung der Industrieregion Kaesong für südkoreanische Arbeiter, und Schreiben, in denen die nordkoreanische Führung ausländischen Dipomaten rät, das Land zu verlassen, da für ihre Sicherheit nicht mehr garantiert werden könne.

Wikinews hat zu diesem Thema ein Gespräch mit zwei ausgewiesenen Fachleuten geführt, welches im Folgenden in der deutschen Übersetzung bereitgestellt ist (Original in Englisch). Interviewt wurden Dr. Robert Kelly von der Universität Busan (Südkorea) und Scott Snyder vom Council on Foreign Relations (CFR), einem US-amerikanischen Think-Tank. Robert Kelly ist Experte für Außen- und Sicherheitspolitik, Scott Snyder Experte für Nordkorea beim CFR.

Beschreiben Sie bitte kurz Ihre berufliche Tätigkeit.

Dr. Robert Kelly: Ich bin Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Busan.

Scott Snyder: Ich bin Senior Fellow für Koreastudien und Direktor des Programms für die US-amerikanische Koreapolitik am CFR.

Nordkorea hat wiederholt Südkorea gedroht. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass diesen Drohungen Taten folgen?

R. Kelly: Für sehr unwahrscheinlich. Sollte es zu einem Krieg kommen, würde Nordkorea ihn verlieren. Würde Nordkorea nukleare Waffen einsetzen, würde das Land international jegliche Sympathien verlieren und China würde sich von Nordkorea abkehren. Hauptsächlich geht es bei diesen Drohungen darum, Südkorea unter Druck zu setzen und vom neuen südkoreanischen Präsidenten Hilfen zu erhalten und nicht darum, einen Krieg anzufangen.

S. Snyder: Die Drohungen Nordkoreas verfolgen unterschiedliche Ziele. Manche der Ziele sind eher defensiver Natur und sollen andere Länder davon abhalten, angesichts ihrer eigenen Schwäche eine aggressive Position gegen sie einzunehmen. Andere sind taktisch motiviert: Es geht Nordkorea um Verhandlungen. Einige Drohungen sind Ausdruck von Bestrebungen die jenseits der Leistungsfähigkeit Nordkoreas liegen und bei deren Umsetzung Nordkorea mit schweren Konsequenzen rechnen müsste. Wiederum andere sind sehr spezifische Bedrohungen, die Nordkorea als Teil einer Guerilla-Strategie anwendet, um z.B. Eskalation zu vermeiden und ein Überraschungselement auszunutzen. Nordkoreas Drohungen sollten ernstgenommen aber sorgfältig beurteilt werden, um zu bestimmen unter welchen Umständen sie tatsächlich ausgeführt werden könnten.

Wie empfinden die Menschen in Südkorea das nordkoreanische Atomwaffenprogramm?

R. Kelly: Selbstverständlich mögen sie dieses Programm nicht, aber sie machen sich weniger Sorgen, als es Aussenstehende erwarten würden. Die Südkoreaner leben seit Jahren unter diesem Schatten. Auch in der Vergangenheit gab es Drohungen aus dem Norden. Nordkorea ist also wie der Junge der "Wolf" schreit. Niemand erwartet, dass das Land eine Rakete abschiessen wird.

S. Snyder: Ungewissheit und Besorgnis nehmen zu, besonders hinsichtlich der Möglichkeit Ziel eines Angriffs mit Nuklearwaffen zu sein. Gleichzeitig haben diese Umstände bis jetzt kaum einen Einfluss auf das Alltagsleben der Südkoreaner.

Führen die Südkoreaner ihr Alltagsleben normal weiter?

R. Kelly: Ja, das tun sie. Das ist nicht wie während der Kubakrise, als Leute die Regale in den Läden geleert und Bunker in ihren Kellern gebaut haben. Meine Studenten kommen und gehen normal. Die Gemütsruhe der Südkoreaner ist wirklich beeindruckend.

S. Snyder: Ja.

Wird Nordkorea international immer mehr isoliert?

R. Kelly: Ja, wird es. Einen Atomkrieg anzudrohen ist eine echte Eskalation, mit der man sich jeden Staat zum Feind machen würde. Und das obwohl Nordkorea schon ziemlich isoliert ist. Und weil China als Hauptlieferant von Hilfen sich nicht von Nordkorea loslöst, hat eine weitere Isolation kaum praktische Auswirkungen.

S. Snyder: Nordkorea ist zunehmend politisch isoliert, aber es ist verglichen mit vor einem Jahrzehnt wirtschaftlich und in Bezug auf den Zugang zu Informationen stärker vernetzt.

Ist das Militär Südkoreas gut vorbereitet auf einen Konflikt mit dem nordkoreanischen Militär?

R. Kelly: Ja. Die ROKA [Republic of Korea Army, of South Korea] ist eine moderne, gut trainierte Streitkraft in guten Zustand, die der KPA technisch wie organisatorisch, substantiell überlegen ist. Bis jetzt hat Südkorea nicht auf die Provokationen aus dem Norden geantwortet, um eine Eskalation zu vermeiden, nicht weil sie nicht könnten. Und die konventionelle Überlegenheit Südkoreas wird durch den US-Beistand noch weiter verstärkt.

S. Snyder: Südkorea wird die meisten konventionellen Auseinandersetzungen mit dem Norden eindeutig für sich entscheiden, ist aber verwundbar in einzelnen Szenarien, wo Nordkorea einen Mangel an Reaktionsbereitschaft oder einen taktischen Vorteil aufspüren kann.

Ist die Schließung von Kaesong durch Nordkorea ein Anzeichen weiter steigender Spannung zwischen den zwei Staaten?

R. Kelly: Ja und Nein. Es ist wichtig als eine Quelle harter Währung für den Norden, das zeigt dass der Norden gewillt ist, im Konflikt echte Kosten zu tragen. Andererseits haben südkoreanische Medien die Schließung Kaesongs schon früh als Gradmesser der Ernsthaftigkeit Nordkoreas ausgemacht und sehr offen gesagt, dass der Norden, wenn er die Einrichtung nicht schließt, auch nicht meint was er sagt. Nordkorea war bei der Schließung Kaesongs getrieben vom Krieg der Worte, die Schließung war aber nicht Teil eines größeren strategischen Plans.

S. Snyder: Bis jetzt ist das ein symbolischer Beleg für das Potential zunehmender Spannung, hat aber noch keine materiellen Auswirkungen als Ergebnis. Man muss abwarten, wie sich die Situation über die nächsten paar Tage entwickelt. Kaesong gerät erst in Gefahr wenn die Abläufe stoppen und damit verbundene Geldtransfers zu Buch schlagen.

Nordkorea hat eine Langstreckenrakete an seine Ostküste verlegt, ist das ein ernsthafter Schritt?

R. Kelly: Ich denke es ist so ernsthaft, wie die Medien es herausgeschält haben: Erstmal haben sie genau eine Rakete verlegt. Zweitens ist unklar ob Nordkorea aktuell Atomsprengköpfe hat die klein genug sind um sie an der Spitze von Raketen anzubringen. Sie sagen das, aber Atombomben sind noch ziemlich schwer, weswegen Atomraketen regelmässig ziemlich groß sind, also das Bewegen dieser Rakete heißt nicht dass sie auch auf die USA zielt, oder auf Tokio, die ich als wahrscheinliche Ziele ansehe. Es bleibt unklar ob es wirklich eine Atomrakete ist und sie ist nicht geladen oder irgendwas in der Art, soweit ich weiß, also ist es wieder eine weitere Art ... Bluff... ein um die Sache herumreden und Dinge zu sagen, ohne wirkliche Konsequenzen, mein Eindruck ist dass es mehr ein Krieg der Worte ist.

Man liest regelmäßig davon dass Kim Jong-un als Staatsführer unerfahren ist, glauben sie dass er weiß wo der "Abgrund" verläuft?

R. Kelly: Das ist eine gute Frage. Nein, weiß ich nicht, deswegen führen wir hier dieses Gespräch. Kim der Zweite, Kim Jong-uns Vater, war meiner Meinung nach "gut" darin, gut in Anführungszeichen, er beherrschte dieses Spiel sehr gut. Er spielte mit dem Süden, besonders um Hilfe, Reis, Unterstützung, Benzin usw. Der neue Knabe - er ist erst seit Anderthalb Jahren in der Position, oder 14, 15 Monate - er ist nicht durch die "Fellpflege" des Regimes gegangen, nicht beim Militär oder der Partei. Er hat sicher keine militärische Ausbildung, ist wohl nicht bei einer militärischen Einrichtung gewesen, er war wohl in einem Internat irgendwo in der Schweiz. Es bleibt unklar, ob er weiß wie der Hase läuft. Ich habe das Gefühl er ist von den Generälen zuhause angetrieben und das Militär macht das weil sie ihre Position nicht aufgeweicht haben wollen in der neuen Ordnung. Unter dem vorigen Kim, Kim dem Zweiten, wurde das Militär in der Verfassung zu grosser Wichtigkeit erhoben, es ist quasi der erste Pfeiler der Regierung, das nennt sich das Militär-Zuerst-Prinzip. Ich glaube diese Leute haben nun Angst dass der neue Kim, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, die Rolle des Militärs herabstufen könnte und ich glaube das ist die Ursache des Ganzen. Ich glaube nicht dass sie einen Krieg wollen.

All diese Drohungen, glauben sie das dient nur dazu um mehr wirtschaftliche Hilfe von den Vereinten Nationen zu bekommen?

R. Kelly: Ich würde nicht sagen, die Vereinten Nationen, denn die Rolle der Vereinten Nationen ist aktuell recht gering. Es gibt zwar ein paar spezielle Agenturen, die in Nordkorea arbeiten - das Welternährungsprogramm, denke ich ist das Grosse, denn Nordkorea hat ständig Nahrungsprobleme — und es gibt westliche Nicht-Regierungs-, Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen, usw. die auch in Nordkorea operieren. Ich war gerade kürzlich in Nordkorea und habe sie arbeiten sehen. Ich habe ein paar Leute getroffen die dort leben und das machen, aber es sind wenige. Ich denke die Nordkoreaner fürchten sich ziemlich vor West-Menschen, die dort herumlaufen, die Ärger machen, Sachen erzählen, usw.... jede Art vom ausländischem Eindringen in Nordkorea ist sehr, sehr begrenzt. Ich denke es geht mehr um die Nachbarn, besonders Japan, China, die Vereinigten Staaten und Südkorea. Russland ist eine Art Nebendarsteller in diesem Drama. Und das ist was sie wirklich wollen, die Nordkoreaner sind jetzt sehr abhängig allein von den Chinesen. Sie waren in der Lage die Chinesen auszuspielen gegen die Südkoreaner, gegen die Japaner gegen die Amerikaner und Hilfen und Zugeständnisse aus allen herauszuholen. In den letzten Zehn Jahren ungefähr wurde das schwerer: Besonders Japan, die USA und Südkorea haben ihre Reihen geschlossen und verhandeln nicht mehr wirklich individuell mit Nordkorea. Das hat Nordkorea in Richtung China getrieben. Nordkorea mag es nicht, nur von einem Mitspieler abhängig zu sein. Und ich denke das sind jetzt die Bemühungen, das wieder umzuschütteln ... ein sehr schweres Spiel, nachdem sie eine wirtschaftliche Kolonie Chinas sind.

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