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POLITIK

19.08.2012

Weltweite Empörung über das Moskauer Urteil gegen die Punkband Pussy Riot

Den drei Bandmitgliedern von "Pussy Riot" im Alter von 22, 24 und 30 Jahren, zwei von ihnen Mütter kleiner Kinder, wurde grobe Störung der öffentlichen Ordnung und Ruhe, offenkundig mangelnder Respekt vor der Gesellschaft, Hooliganismus, Hass und Feindseligkeit vorgeworfen. Die Richterin Marina Syrewa am Chamovnichesky-Bezirksgericht im Stadtzentrum Moskaus verurteilte Nadeschda Tolokonnikova, Maria Aljokhina und Jekaterina Samutsewitsch wegen "Rowdytum aus religiösem Hass" zu zwei Jahren Straflager. Die Untersuchungshaft von fünf Monaten wird angerechnet.

Pussy Riot ist eine feministische Punkrock-Band aus Moskau. Die Gruppe ist ein loser Zusammenschluss von etwa zehn Frauen. Weltweite Aufmerksamkeit erlangte die Band durch eine Aktion im zentralen Gotteshaus der russisch-orthodoxen Kirche (ROK), der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau am 21. Februar 2012. Sie stürmten den Ambo der Kathedrale und sangen vor dem Altar ein "Punk-Gebet" gegen die Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche. In diesem Lied waren heftige Beleidigungen enthalten. Auch Ministerpräsident Wladimir Putin wurde geschmäht. Die Frauen von Pussy Riot protestierten mit ihrem Auftritt dagegen, dass der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill I., ihren Worten nach dazu aufgerufen hatte, Wladimir Putin bei den Präsidentschaftswahlen zu wählen. Ihre Verhaftung im März 2012 löste zahlreiche Debatten in den russischen und internationalen Medien über Kunst, Religion und Politik aus.

Im Verlauf des Prozesses wurde von den Angeklagten eine Erklärung abgegeben. Sie prangerten an, dass sie im Verlauf der Untersuchungshaft gefoltert wurden. Sie seien überlangen Verhören ausgesetzt gewesen, und man habe sie daran gehindert zu schlafen. Im Prozess wiederholten die Frauen ihre Kritik an Putin, die beabsichtigte abschreckende Wirkung scheint ins Leere gelaufen zu sein. Es wird erwartet, dass die Anwälte der Frauen das Urteil nicht annehmen werden, damit würde es zu einer Berufungsverhandlung kommen. Die Richterin befürchtete einen Anschlag während der Verkündung des Urteils, die Polizei sperrte die Umgebung des Gerichts ab. Die Höchststrafe für die Anstiftung zu religiösem Hass sind sieben Jahre. In Deutschland wäre das Verhalten der Bandmitglieder als Störung der Religionsausübung strafbar und könnte mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden, allerdings ist davon auszugehen, dass eine Geldstrafe für das Verhalten der Täterinnen ausgesprochen worden wäre.

In Russland gibt es 50 russische Straflager für Frauen. Ungefähr 60.000 Häftlinge sitzen dort ein. Die Härte des Vollzugs ist unterschiedlich und wird bereits im Urteil festgelegt. Im Urteil gegen die Frauen wurde auf "normale Unterbringung" entschieden. Jeder Gefangenen stehen dabei drei Quadratmeter Platz zur Verfügung und damit deutlich mehr als in den gefürchteten Sammelzellen im Männervollzug. Im Lager dürfen sie sich frei bewegen und es mit Erlaubnis auch kurzzeitig verlassen. Sechs kurze und vier lange Besuche sind erlaubt. Im Jahr dürfen sechs Pakete an eine Gefangene geschickt werden und bei guter Führung ist nach sechs Monate eine Verlegung in den "erleichterten Vollzug" möglich.

International hagelte es Kritik an dem Urteil. Man geht davon aus, dass die Entscheidung über die Höhe der Strafe nicht im Gericht sondern im Kreml gefällt wurde. Die Richterin, die sich bislang mit unspektakulären Fällen befasst hatte und dafür bekannt ist, täglich zehn bis 15 Urteile zu fällen, war erstmals mit einem Prozess betraut, der sie in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte. Stundenlang begründete sie die Entscheidung.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem "unverhältnismäßig harten Urteil", es stehe nicht im Einklang mit Europäischen Werten wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Josh Earnest, ein Sprecher des Weißen Hauses sagte: "Die Vereinigten Staaten sind über das Urteil enttäuscht, einschließlich der unverhältnismäßigen Strafen, die erteilt wurden". Die US-Außenministerin Hillary Clinton geht davon aus, dass es negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit in Russland geben wird. Der deutsch-russische Schriftsteller Wladimir Kaminer erklärte in einem Zwischenruf, die Menschen hätten gesehen, wovor dieser Staat Angst habe: "vor singenden Mädchen. Nicht vor der Finanzkrise, nicht vor der politischen Opposition, sondern vor singenden Mädchen". Amnesty International fand ebenfalls eindeutige Worte: "Zwei Jahre Straflager für eine vielleicht provokante, aber friedliche Protestaktion: Das ist erschütterndes, politisch motiviertes Unrecht. Das Urteil ist nicht nur der Versuch, die drei jungen Frauen zum Schweigen zu bringen. Es soll auch eine Warnung an alle anderen sein, die es wagen, Präsident Putin und seine Regierung zu kritisieren."

In vielen europäischen Metropolen kam es zu öffentlichen Protesten gegen das Urteil. Mehrfach waren nach der Festnahme und im Verlauf des Verfahrens Stimmen in den Medien zu vernehmen, die sinngemäß vom möglichen Anfang des Endes des Putin-Regimes sprachen. So äußerte sich beispielsweise "de Volkskrant" (Amsterdam), "Der Standard" (Wien) und "Die Welt".

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