Die Situation in Syrien wird immer unübersichtlicher und offenbar gefährlicher. Nun sollen im Nordwesten Syriens 120 Soldaten getötet worden sein, doch gibt es für die Berichte keine unabhängigen Quellen - vor allem, weil in der Gegend um Dschisr asch-Schugur die Kommunikationsverbindungen unterbrochen wurden. Adnan Mahmud, Informationsminister des Landes, bestätigte in Damaskus, dass die Armee für "unzusammenhängende Zeitabschnitte" die Kontrolle über einige Gebiete verloren habe.
Innenminister Ibrahim Schaar sagte, die Regierung werde nicht hinnehmen, dass sich bewaffnete Angriffe gegen die Sicherheit des Staates und seiner Bevölkerung richteten und man werde stark und entschieden durchgreifen, "in Übereinstimmung mit dem Gesetz". Im staatlichen Fernsehen, das von einem "blutigen Massaker" sprach, hieß es in Eilmeldungen, zunächst seien etwa 20 Polizisten getötet worden, dann hätten "bewaffnete Banden" ein Postamt gesprengt, wobei acht Personen starben. Beim Angriff auf einen Posten der Sicherheitskräfte seien 82 Personen getötet worden, doch gab es keine Bildberichte des Fernsehens. Die Berichterstattung des Fernsehens konzentrierte sich auf den Zwischenfall am Grenzzaun zu den israelisch-besetzten Golanhöhen, bei dem am Sonntag in .
Oppositionelle und Einwohner der Stadt sagen hingegen, es sei zu Kämpfen zwischen desertierenden Soldaten und deren Einheiten gekommen. Die Truppen seien in die Stadt geschickt worden, um den Aufstand niederzuschlagen. Es seien Kampfhubschrauber und Maschinengewehre zum Einsatz gekommen, wurde berichtet. Einheiten aus Homs und Latakia seien herangeführt worden.
Der Korrespondent der British Broadcasting Corporation (BBC) in Beirut, John Muir, berichtete ebenfalls von Soldaten, die von ihren Einheiten desertiert seien. Ein Augenzeuge sagte gegenüber dem arabischen Nachrichtenprogramm der BBC, "die Soldaten kamen in unsere Richtung. Dann wurden sie von einigen syrischen Sicherheitselementen in den Rücken geschossen." Auch nach Berichten, die der Menschenrechtsaktivist Mustafa Osso erhalten hat, sollen einige Soldaten die Seiten gewechselt haben, doch sei nach diesen unbestätigten Berichten der Umfang der Meuterei beschränkt und "noch keine Gefahr für die Streitkräfte als Ganzes".
Saeb Dschamil, der Flüchtlingen über die Grenze in die Türkei hilft, schilderte die Kämpfe, die am Sonntag (05.06.2011) vor Sonnenuntergang eingesetzt hatten, als Kampf von Teilen der Armee gegen die Armee. Die Kämpfe hätten sich inzwischen aus der Stadt heraus verlagert. Die meisten Einwohner wären jedoch geflohen, weil sie Vergeltungsmaßnahmen der Armee fürchteten. Nur einige seien zurückgeblieben, um Plünderungen zu verhindern. Ein anderer Einwohner der Stadt, der seinen Namen mit Omar angab, stellte die Situation jedoch anders dar. Demnach würden dutzende von desertierten Soldaten in der Stadt mit regulären Truppen kämpfen.
Einwohner der Stadt forderten auf einer Facebook-Seite der Oppositionsbewegung, es müsse eine transparente und unabhängige Untersuchung geben, wer für den Gewaltausbruch verantwortlich sei. Ein Aktivist, der unter der Bedingung von Anonymität mit der Associated Press sprach, bezeichnete die Situation als "nebulös"; man wisse nicht, welche Seite geschossen habe. Die Angelegenheit drohe außer Kontrolle zu geraten und viele befürchteten einen Großangriff der Armee.
Dschisr asch-Schugur liegt etwa 20 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Das Gebiet gilt als überwiegend von Sunniten besiedelt und durch die verbotene Muslimbruderschaft beeinflusst. Es existiert ein aktives Schmuggelwesen über die Grenze mit der Türkei. 1980 war die Stadt von der syrischen Armee bombardiert worden, um einen Aufstand gegen den Vater des jetzigen Präsidenten, Hafiz al-Assad niederzuschlagen. Seinerzeit wurden den Berichten zufolge 70 Personen getötet.
Die Zahl der Opfer unter Polizei und Militär seit Beginn der Proteste im März wurde vor den Ereignissen am Montag (6. Juni) von der Regierung mit 160 angegeben. Manche Beobachter vermuten, dass die Bekanntgabe einer so hohen Opferzahl an einem einzigen Tag erfolgte, um ein noch härteres Durchgreifen gegen die Protestierenden zu rechtfertigen. Aktivisten sagen, dass auf Seiten der Zivilbevölkerung bislang 1200 Menschen bei den Protesten getötet worden seien.
Frankreich hat angekündigt, es im Sicherheitsrat auf eine Kampfabstimmung ankommen zu lassen, um eine gemeinsam mit Deutschland, Portugal und dem Vereinigten Königreich eingebrachte Resolution durchzusetzen. Der Resolutionstext verurteilt Gewalt durch das Regime unter Baschar al-Assad und verlangt den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfsgruppen. Frankreichs Außenminister Alain Juppé hofft darauf, dass eine starke Unterstützung durch die Mitglieder des Sicherheitsrates Russland daran hindern wird, ein Veto gegen die Entschließung einzulegen. "Wir denken, dass es uns gelingt, elf Stimmen zugunsten der Resolution zusammen zu bekommen, und dann werden wir sehen, wie die Russen reagieren", so Juppé.