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Mord an Willi Rogge ist ein Kriminalfall aus den letzten Tagen des Dritten Reiches. Am 14. April 1945 wurde der Bauer Willi Rogge auf einem Weg zwischen Dötlingen und Neerstedt von einer Einheit des Freikorps Adolf Hitler hingerichtet. Der lange vergessene Mordfall drang im April 2014 wieder in das Bewusstsein, als der Journalist Cordt Schnibben im Spiegel die Nazivergangenheit seines Vaters Georg Schnibben aufarbeitete.
Vorgeschichte
Das Deutsche Reich stand im April 1945 kurz vor seiner Kapitulation. Ein Jahr zuvor hatte Heinrich Himmler zur Bildung von sogenannten Werwolf-Einheiten aufgerufen, die sich hinter die feindliche Linie fallen lassen und die Feinde dort angreifen sollten. Am 28. März 1945 gab Adolf Hitler den Befehl zur Aufstellung des "Freikorps Adolf Hitler". Im Gau Weser-Ems übernahm die Führung der HJ-Funktionär Heinz Günter Wichmann, seine Volkssturmeinheit wurde auch "Kampfgruppe Wichmann" genannt. Diese erhielt eine Woche vor dem Mord von Gauleiter Paul Wegener den Befehl rücksichtslos gegen kriegsmüde Deutsche vorzugehen.
Dötlingen galt lange Jahre als Hochburg der NSDAP und als Gaumusterdorf. Dort lebte jedoch auch der Bauer Willi Rogge, vor 1933 im Gemeinderat und als Demokrat bekannt, der nicht auf Parteilinie war. Ortsgruppenleiter Heinrich Brockshus erhob den Vorwurf, das Rogge aus einem Vorratslager des Reichsarbeitsdienstes Materialien gestohlen haben soll. Diese Vorwürfe stellten sich später als falsch heraus.
Tathergang
Am 13. April 1945 versammeln sich Georg Schnibben, Wilhelm Piening und Heinrich Cordes bei ihrem Kommandanten Wichmann in Huntlosen in der Nähe von Dötlingen. Cordes trägt den Fall vor. Wichmann beschließt auf Grundlage eines Befehls des Generaloberst Johannes Blaskowitz den vermeintlichen Verräter mit dem Tode zu bestrafen. Vorher bittet er jedoch Cordes und Piening noch einmal mit Brockshus zu reden. Dieser bekräftigte seine Geschichte und erweiterte den Vorwurf noch. So vermutete er, Rogge könnte mit den herannahenden Briten zusammenarbeiten und die Pläne der Kampfgruppe gefährden. Wichmann gibt daraufhin den Befehl, Rogge zu töten. Doch am Morgen des 14. April wurde ein Panzerangriff vermutet, so dass der Mord verschoben werden muss. Nach einem medizinischen Eingriff bekräftigte Wichmann seinen Befehl gegen 16 Uhr und gab den Auftrag an Piening.
Gegen 21 Uhr bittet Piening und ein unbekannter Mitfahrer Rogge mit zum Gefechtsstand der Kampfgruppe zu kommen. Der verdutzte Rogge steigt in Pienings Auto. Die drei fahren ein kleines Stück, dann bittet Piening Rogge auszusteigen, um in ein anderes Auto umzusteigen. Als Rogge das Auto verlässt, schießt ihm Piening in den Kopf. Anschließend feuerte ein Mittäter auf den fallenden Bauern, dann folgte ein zweiter Schuss in den Kopf durch Piening. Die Leiche wurde an den Straßenrand gelegt und mit einem Schild drapiert, auf dem "Wer sein Volk verrät stirbt" stand und das mit einem Handabdruck versehen war.
Am nächsten Tag wurde Wichmann informiert, der einen Presseartikel aufsetzte. Dieser erschien am 16. April in der Oldenburgischen Staatszeitung unter der Überschrift "Verräter gerichtet". In dem Artikel wurden die Täter als "Rächer deutscher Ehre" gelobt.
Prozesse
Kurz nach dem Ende des Zweiter Weltkriegs wurde Cordes festgenommen, der seine Mittäter preisgab. Die sechs Täter wurden festgenommen und nach Oldenburg überstellt, wo sie in Untersuchungshaft verblieben. Die britische Besatzungsmacht gab den Fall im Dezember 1947 an die deutschen Behörden. Insgesamt vier Prozesse waren nötig, bis es zu einem Schuldspruch kam. Vor dem Landgericht 1947 wurde Anstifter Brockshus zu lebenslanger Haft verurteilt und sieben weitere Angeklagte erhielten langjährige Haftstrafen. Die Revision ging jedoch durch zwei weitere Instanzen, die Haftstrafen wurden erheblich abgemildert. Am 18. Juni 1953 verurteilte das Schwurgericht in Oldenburg Wichmann zu drei Jahren wegen vorsätzlicher Tötung. Schnibben als sein Adjutant wurde zu zwei Jahren und neun Monaten wegen Beihilfe verurteilt. Die restlichen Täter, darunter auch der eigentliche Schütze, erhielten zwei Jahre und sechs Monate. Paul Wegener wurde freigesprochen.
Aufarbeitung
Der Mord wurde in Dötlingen nicht ganz vergessen. Seit 1995 bemühte sich der Bürger- und Heimatverein Dötlingen um ein Mahnmal, das den Opfern des NS-Regimes aus Dötlingen auch Willi Rogge gedenken soll. Das Mahnmal wurde 2009 eingeweiht. Ursprünglich sollte die Vergangenheit weiter aufgearbeitet werden und die Namen auf dem Mahnmal ergänzt werden. Die Aufarbeitung geriet jedoch ins Stocken. Über die genauen Umstände recherchierte damals der Heimatforscher Karsten Grashorn, der seinen rund 20seitigen Aufsatz bisher jedoch noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben hat.
Am 14. April 2014, dem Jahrestag des Mordes, erschien als Titelgeschichte der Spiegel-Ausgabe Nr. 16 der Artikel Mein Vater, ein Werwolf von Cordt Schnibben, Georg Schnibbens Sohn. Das titelbild zeigt den Vater mit der Bildunterschrift Mein Vater, der Mörder und dem Untertitel SPIEGEL-Reporter Cordt Schnibben über seine Nazi-Eltern und die Flucht vor der Wahrheit. Im Artikel selbst beschreibt Schnibben auf mehreren Seiten zum einen den Tathergang und die juristische Aufbereitung, zum andern seine Art der Vergangenheitsbewältigung. Am Dienstag, dem 15. April folgte die online-Version auf Spiegel Online. Gleichzeitig erschien ebenfalls auf Spiegel.de eine Website, die den Mord mit verschiedenen Originaldokumenten, unter anderem Originalausschnitten von Radio Werwolf und verschiedenen Gerichtsakten, darstellte.
Literatur
- Volker Koop: Morde in Norddeutschland. In: Derselbe: Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation "Werwolf". Böhlau Verlag, Köln u. a. 2008, ISBN 978-3-412-20191-3, S. 159-181 (hier S. 167-168, Auszug bei Google Books).
- Werner Meiners: Menschen im Landkreis Oldenburg 1918 bis 1945. Politische Entwicklung - Ereignisse - Schicksale. Isensee Verlag, Oldenburg 1995, ISBN 3-89598-301-2, S. 203-204.
- Beatrix Herlemann: "Der Bauer klebt am Hergebrachten." Bäuerliche Verhaltensweisen unterm Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Landes Niedersachsen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, , 39. Jahrgang, Band 4: Niedersachsen 1933-1945 / Historische Kommission für Niedersachsen, Band 4). Hahn, Hannover 1993, ISBN 3-7752-5877-9, S. 335 ff.
Weblinks
Einzelnachweise