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RECHT

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Nachtigallensteuer

Die Nachtigallensteuer wurde im 19. Jahrhundert in verschiedenen deutschen Staaten erhoben. Die Steuer bezog sich auf den Besitz von Exemplaren der in Deutschland heimischen Singvogelarten Nachtigall und Sprosser. Die Steuer sollte den Vogelfang dieser Vogelarten einschränken: Trotz der bestehenden Verbote pflegen immer noch die Singvögel eingefangen zu werden, beklagte 1838 der Fürst von Sondershausen. Die Erwartung der Landesherrn war, dass dieses seltener geschehen werde, wenn auf die gefangenen Vögel eine Steuer errichtet würde.

Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde die Steuer in Hessen eine Staatssteuer, in Preußen eine fakultative Gemeindesteuer, in Sachsen eine obligatorische Ortssteuer.

Typisierung


Den Vogelliebhabern wird mit der Steuer der Besitz dieser Vogelart erschwert und damit den Vogelhändlern und Vogelfängern der Handel. Die Nachtigallensteuer ist eine Lenkungsabgabe und wird als ein Fall von "Erdrosselungssteuer" angesehen: das Ziel der Steuer ist nicht die Geldbeschaffung für den Staat, sondern dass sie sich selbst abschafft.

Geschichte

In Deutschland gab es bereits im Spätmittelalter Polizeiverordnungen, die den ungehemmten Fang von Nachtigallen zu regeln versuchten. So wurde in Nürnberg auf den Fang ein Bußgeld von 5 Gulden angedroht. 1686 stellte Friedrich Wilhelm von Brandenburg die Nachtigall ganzjährig unter Schutz und drohte den Fängern und Händlern Haftstrafen an. Sein Thronnachfolger Friedrich III. verbot auch die Einfuhr der Vögel und überhaupt das Halten der Vögel in Vogelbauern, die Besitzer sollten ihre Vögel wegfliegen lassen. Im 19. Jahrhundert wurden dann Steuern eingeführt, die die Liebhaber, die sich meist nicht mit einem Vogel in der Voliere begnügten, am Geldbeutel treffen sollte. Die Steuer betrug in den 1880er Jahren in Sachsen 15 Mark je Vogel pro Jahr, im preußischen Barmen ebenfalls 15 Mark. Die Steuer wurde u.a. auch in Erfurt, Gotha, Meiningen, Coburg und Forst erhoben Die städtischen Büttel sollten auf das [unversteuerte] Anschlagen der Nachtigall in den Bürgerhäusern achten.

Nachtigallensteuer in Schwarzburg-Sondershausen
Fürst Günther Friedrich Carl I. erließ am 14. Oktober 1838 für die Oberherrschaft im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen dieselbe Verordnung zur "Nachtigallensteuer", die er bereits am 11. April 1834 für seine Schwarzburg-Sondershäuser Unterherrschaft erlassen hatte.
In der Verordnung und dem gleichzeitigen Reskript an das fürstliche Kammer- und Forstkollegium wird geregelt:

  • Der Besitz einer Nachtigall oder eines Sprossers wird mit 2 Thalern preußisch Courant pro Jahr besteuert.

  • Der Vogel muss angemeldet werden, und der Steuerbetrag ab dem jeweiligen Fang- oder Erwerbszeitpunkt für ein volles Jahr im Voraus gezahlt werden. Nach Ablauf des Jahreszeitraums muss der Vogel erneut angemeldet und die Steuer entrichtet werden. Der Steuerpflichtige erhält dafür eine Quittung.

  • Vogel und Besitzer haben eine anmeldefreie Eingewöhnungszeit von 8 Tagen, die nur dann versteuert wird, wenn der Vogel beim Besitzer bleibt.

  • Auf den "Verheimlichungsfall" (Steuerbetrug) droht eine Strafe von 10 Talern. Den dritten Teil dieser Geldbuße erhält der Denunziant.

  • Wechselt der Vogel den Besitzer, verfällt die Vorauszahlung und die Steuer muss ab dem Erwerbszeitpunkt erneut für ein Jahr im voraus entrichtet werden.

  • Die Hofkammer liefert mit Jahresrechnungsschluss die Einnahmen aus Steuern und Strafgeldern nach Aufkommen in den Schwarzburg-Sondershäuser Verwaltungsbezirken an die jeweiligen Frauenvereine ab, die das Geld für ihre Wohltätigkeitsaufgaben verwenden.

Preußen
1844 führte die Stadt Potsdam eine Nachtigallensteuer anstelle eines polizeirechtlichen Fangverbots ein. Das Halten von Nachtigallen wurde zum Schutz der Nachtigallen in den königlichen Gärten zunächst mit 5, dann mit 2 Talern jährlich besteuert. Ab 1897 war keine Nachtigall mehr angemeldet, die Steuer erbrachte damit kein Aufkommen mehr, sie wurde aber aus Gründen der Prävention beibehalten. 1849 stritten sich in Forst die zahlungsunwilligen, spitzfindigen Bürger, die Sprosser hielten, mit ihrer Stadtverwaltung, welche daraufhin einen Entscheid des Regierungspräsidenten Karl Otto von Raumer herbeiführte, dass auch der Sprosser unter die Nachtigallensteuer falle, auch wenn er in der Verordnung nicht genannt sei.
Thüringen
Im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach wurde die Nachtigallensteuer am 25. Juli 1826 eingeführt. 1886 betrug die jährliche Steuer 18,50 Reichsmark je Vogel. Am 18. November 1884 befasste sich der Petitionsausschuss des Landtags Sachsen-Weimar-Eisenach mit einer Eingabe verschiedener Liebhaber von Singvögeln, die die Aufhebung der Nachtigallensteuer erbaten.
Weitere Entwicklung
In der wenigen Literatur ist nicht untersucht, welchen Einfluss auf das sinkende Steueraufkommen ein Wechsel in der Mode der Stubenvögel hatte und das zwischen 1860 und 1880 verzehnfachten Zuchtaufkommen des Harzer Rollers, sowie die Preise für diese Käfigsingvögel.

Rezeption

Die Autoren der Enzyklopädie Meyers Konversations-Lexikon subsumierten 1905 die Nachtigallensteuer unter die Luxussteuern.

Das Stichwort Nachtigallensteuer dient heute noch in der Auseinandersetzung um steuerpolitische Maßnahmen: So versuchte Klaus Friedrich 1999 in der Polemik gegen die Die "Öko­lo­gi­sche Steu­er­re­form" in der Fachzeitschrift Der Betrieb deren Befürworter mit dem exotischen Reizwort in Misskredit zu bringen. Als Beispiel für das Gebot der Eindeutigkeit im Steuerrecht und für die damit verbundene Steuervermeidung wird die versuchte Unterscheidung zwischen Nachtigall und Sprosser zitiert.

Literatur

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