C6 MAGAZIN
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RECHT

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Frederico Cunha

Frederico Marques Cunha (* 1951 in Natal im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Norte) ist ein wegen Mordes und sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verurteilter römisch-katholischer Priester. Durch seine Flucht im Jahr 1998 entzog er sich dem Strafvollzug und wird seither von den portugiesischen Behörden gesucht.

Leben

Studien und Beruf


In Brasilien schloss sich Cunha dem Engelwerk, einer von der angeblichen Mystikerin Gabriele Bitterlich in Österreich gegründeten innerkatholischen Gruppierung, und der Ordensgemeinschaft der Regularkanoniker vom Heiligen Kreuz innerhalb des Engelwerkes an. Cunha kam im Jahr 1981 mit anderen Mitgliedern des Werkes nach Europa. Er absolvierte sein Theologiestudium am Portugiesischen Kolleg in Rom, das zu dieser Zeit von Teodoro de Faria geleitet wurde.

Im Jahr 1983, zwischenzeitlich von Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Funchal ernannt, nahm Faria Cunha in seine Diözese auf der portugiesischen Insel Madeira auf und ernannte ihn, im Wissen um Cunhas Homosexualität, zu seinem Privatsekretär. Der Klerus auf Madeira nahm das Interesse des Bischofs an "einer derart bizarren Person" mit Verwunderung auf. Auf Madeira kam es häufig wegen der "wenig rechtgläubigen Regeln", die Cunha aufstellte, zu Beschwerden von Gläubigen über den Pater.

Nach wiederholten Versetzungen von Pfarrei zu Pfarrei blieb Cunha schließlich von 1987 bis 1990 in der Pfarrei São Jorge im Norden der Insel. Dort kam es im Pfarrhaus mehrfach zur Päderastie. Statt dem Priester nochmals eine neue Pfarrei anzuvertrauen, ernannte Bischof Faria ihn zum Religionslehrer in Machico.

Mord an Luis Miguel Correia


Am Morgen des 2. Mai 1992 wurde der 15-jährige Luis Miguel Correia am Strand unterhalb der Klippen bei Caniçal, wo das Engelwerk seine Niederlassung Casa do Caniçal unterhielt, tot aufgefunden. Die Polizei ging zunächst von einem tödlichen Unfall aus. Erst bei der Obduktion der Leiche stellte der Gerichtsmediziner Emanuel Pita fest, dass mehrere Verletzungen, darunter die tödliche Kopfverletzung und Risse an den Händen, nicht vom Sturz von der Klippe herrühren konnten. Aufgrund der Obduktionsergebnisse wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet.

Ermittlungsverfahren


Im Lauf des Ermittlungsverfahrens meldeten sich mehrere Zeugen, die angaben, als Kinder oder Jugendliche von Cunha zu sexuellen Handlungen gezwungen worden zu sein. Im Verlauf einer Hausdurchsuchung in Cunhas Räumlichkeiten fand die Polizei Serien von kinder- und jugendpornografischen Fotos, die der Priester von seinen Opfern aufgenommen hatte. Am 25. Mai 1992 wurde Cunha im Gefängnis der Stadt Funchal in Untersuchungshaft genommen.

Der Ortsbischof des Bistums Funchal, Teodoro de Faria, protestierte gegen Cunhas Verhaftung und bezeichnete ihn als "unschuldig wie Jesus Christus". Zahlreiche Priester im Bistum versuchten, auf Zeugen einzuwirken, um sie zu Aussagen zugunsten des Beschuldigten zu bewegen. Mehrere Engelwerk-Priester versuchten darüber hinaus, Zeugen zu bestechen und zur Falschaussage anzustiften.

Mehrere Zeugen erklärten, Cunha in Begleitung Correias zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes, einer Aussichtswarte auf den Klippen von Caniçal, gesehen zu haben. Cunhas Patenkind Miguel Noite versuchte seinem Freund und Taufpaten ein Alibi zu verschaffen, indem er behauptete, er selbst und nicht das Mordopfer habe sich mit Cunha auf der Aussichtswarte befunden. Dieses Alibi stellte sich dank der Aussagen der Direktorin und der Rezeptionistin des Hotels Maltur, wo sich Cunha in der Nacht vom 1. zum 2. Mai aufgehalten hatte, als haltlos heraus. Beide Zeuginnen bestätigten, dass Cunha im Hotel einen Anruf von Noite erhalten hatte. Daraufhin habe Cunha aus Angst, das Telefonat könne abgehört worden sein, einen Tobsuchtsanfall erlitten, in dessen Verlauf er Vorwürfe an die Rezeptionistin richtete.

Zwei Entlastungszeugen konnten im Verlauf des Verfahrens des Meineides überführt werden. Die Zeugin Moniz Alves behauptete, Correia habe sich zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt gegen 23 Uhr am 1. Mai 1992 tanzend in einer Bar befunden. Später gestand Alves, von Cunhas Mutter Bestechungsgeld für die Aussage erhalten zu haben. Der Imbissstubenbesitzer Pedro Melim behauptete eidlich, Correia spätabends am Tattag ein Sandwich zum sofortigen Verzehr verkauft zu haben. Durch das Obduktionsprotokoll stellte sich heraus, dass Melim gelogen hatte, denn im Magen des Toten waren keine Speisereste, sondern nur Salzwasser gefunden worden.

Cunha selbst ließ sich nur teilweise zum Tatvorwurf ein und verweigerte die Antwort auf die Frage des Richters, ob er homosexuell sei. Auf mehrere Fragen des Gerichts antwortete er, sich nicht erinnern zu können, verwickelte sich in Widersprüche und bestritt die ihm zur Last gelegten Straftaten.

Hauptverhandlungen und Urteile


Nach Abschluss der Ermittlungen wurde im Februar 1993 vor dem Bezirksgericht in Santa Cruz Anklage gegen Cunha wegen qualifizierten Mordes an einem Minderjährigen zur Verdeckung einer Straftat erhoben. Der Strafrahmen hierfür betrug 12-20 Jahre, denn die lebenslange Freiheitsstrafe war in Portugal bereits abgeschafft worden.

Das Gericht gelangte zu dem Schluss, Cunha habe Correia am 1. Mai 1992 in Caniçal angetroffen und ihm angeboten, ihn als Tramper in seinem Auto mitzunehmen. Am Aussichtspunkt auf den Klippen außerhalb des Dorfes bei Ponta de São Lourenço habe Cunha versucht, den Jugendlichen zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Aus Angst vor Entdeckung habe Cunha Correia niedergeschlagen und über die Klippe gestoßen. Nach der Aussage zweier Zeugen räumte Cunhas Verteidiger in erster Instanz, Alvez Teixeira, die von seinem Mandanten begangenen pädophilen Handlungen im Vorfeld des Mordes ein, bestritt aber dessen Begehung durch Cunha, der bei seinen früheren Sexualstraftaten nie Gewalt angewendet habe.

Im März 1993 wurde Cunha gemäß der Ergebnisse der Beweisaufnahme einstimmig zu einer 13-jährigen Gesamtstrafe und anschließender Abschiebung aus Portugal verurteilt. Verteidigung und Staatsanwaltschaft gingen in Berufung, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Miguel Noite wurde wegen Strafvereitelung zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Auch Noite ging in Berufung zum Supremo Tribunal de Justiça, dem obersten Strafgericht Portugals in Lissabon. Allen Berufungsanträgen wurde stattgegeben.

Im Februar 1994 bestätigte das Supremo Tribunal als letzte Instanz beide Schuldsprüche und das jeweilige Strafmaß. Cunha wurde zusätzlich verurteilt, den Hinterbliebenen des Mordopfers 1.600.000 Escudos als Entschädigung zu zahlen. Alle späteren Anträge des Verteidigers Romeu Francês auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Cunha wurden abgewiesen.

18 Jahre nach dem Mord erklärte Staatsanwalt João Freitas öffentlich, im Lauf des Strafverfahrens mehrfach unter Druck gesetzt worden zu sein, um einen Freispruch des Angeklagten zu erzwingen. Freitas gab an, der Druck sei nicht alleine von kirchlicher Seite ausgeübt worden; er selbst sei praktizierender Katholik.

Flucht und Konsequenzen


Seit der rechtskräftigen Verurteilung verbüßte Cunha die ersten Jahre seiner Strafe im Gefängnis Vale dos Judeus in Alcoentre auf dem portugiesischen Festland. Im April 1998 gewährte die Vollstreckungsrichterin Margarida Vieira de Almeida dem Priester gegen den Rat des Gefängnisdirektors António Oliveira einen achttägigen Freigang, den er mit seiner Mutter in Lissabon verbringen sollte. Cunha nutzte die Gelegenheit zur Flucht und setzte sich per Flugzeug nach Rio de Janeiro in Brasilien ab. Die Correias Eltern gerichtlich zugesprochene Entschädigung wurde weder von Cunha noch von der römisch-katholischen Kirche, die ersatzweise zur Zahlung verpflichtet war, ausgezahlt. (Stand vom März 2010)

Portugal führte nach der Flucht ein Gesetz ein, nach dem die Flughäfen Listen von Freigängern erhalten, so dass sich der Fall nicht wiederholen kann.

Nach seiner Flucht behauptete Cunha, er kenne die wahren Täter; er könne genug Beweise für seine Unschuld erbringen, um ein Wiederaufnahmeverfahren in Portugal oder Brasilien herbeizuführen, und sei nur ein Sündenbock gewesen. Auch habe der portugiesische Geheimdienst seine Unschuld bewiesen, dies sei aber vom Gericht nicht akzeptiert worden. Ein Jugendlicher, der den wahren Täter gekannt habe, sei ebenfalls ermordet worden. Die angekündigten Beweise für diese Behauptungen wurden nicht erbracht, so dass es beim gültigen Schuldspruch blieb.

Erst im Jahr 2002 räumte Teodoro Faria, trotz der Widerlegung seiner falschen Angaben zugunsten Cunhas noch immer Bischof von Funchal, seine Kenntnis von Cunhas pädophilen Handlungen ein. Die kirchlich nicht anerkannte Initiative We are Church warf dem Bischof ein "skandalös unausgeglichenes Verhalten" in diesem Fall vor. Faria selbst verblieb noch über das Erreichen der Altersgrenze mit 75 Jahren hinaus im Bischofsamt, bis Papst Benedikt XVI. zum 8. März 2007 sein Entpflichtungsgesuch annahm.

Leben in Rio de Janeiro


In Rio de Janeiro angekommen, lebte Cunha zumindest bis 2006 bei seiner Mutter. Kurz nach Cunhas Rückkehr nach Brasilien erklärte die dortige Justizstaatssekretärin Sandra Valle, Cunha könne rechtlich auch in Brasilien für ein in Portugal begangenes Verbrechen verurteilt werden; hierzu kam es in der Praxis nicht. Seit seiner Flucht und bis 2006 verlief Cunhas Leben in Rio de Janeiro zunächst ohne bekannt gewordene Auffälligkeiten.

Erneuter Missbrauchsfall


Wie die Bundespolizei in Rio de Janeiro bekannt gab, wurde Cunha am 18. Mai 2007 unter der Anklage eines in Brasilien begangenen Falles sexuellen Missbrauchs festgenommen. Beim Opfer handelte es sich um einen ehemaligen Schüler einer Einrichtung, in der sich Cunha trotz seiner bekannten Vorstrafe weiterhin durch Liturgiefeiern, Eheschließungen und Taufen priesterlich betätigte und Alphabetisierungskurse gab. Cunha kam gegen eine Kaution in Höhe von 10.000 Reáis vorübergehend frei, erhielt aber für den Fall in Brasilien eine Freiheitsstrafe in unbekannter Höhe.

Bisherige Auslieferungsbemühungen


Portugals Versuche, die Auslieferung des seit 2007 in Brasilien einsitzenden Täters zu erreichen, führten zu einer heftigen Auseinandersetzung beider Länder auf diplomatischer Ebene und blieben wie die ersten Auslieferungsgesuche erfolglos. Auf einem Kongress von Richtern auf den Azoren im Jahr 2011 schlug der brasilianische Berufungsrichter Marco António Silva vor, Cunha im Wege eines Gefangenenaustauschs zur Verbüßung der Reststrafe an Portugal auszuliefern. Im Gegenzug sollte der des Mordes an einer Mandantin in Brasilien verdächtigte portugiesische Rechtsanwalt Duarte Silva der brasilianischen Justiz überstellt werden.

José Quaresma, Vollstreckungsrichter in der portugiesischen Stadt Coimbra, gab hierzu zu bedenken, dass Portugal mangels eines Auslieferungsabkommens mit Brasilien keine Inländer dorthin auszuweisen pflegte. Quaresma erklärte darüber hinaus, der bisher lediglich tatverdächtige Lima könne als solcher nicht ausgeliefert werden. Silva äußerte sich seinerseits dahingehend, es handle sich um eine Frage der Diplomatie und ein solcher Austausch sei ungewöhnlich, aber rechtlich möglich. Für künftige Fälle schlug Silva ein wechselseitiges Abkommen zwischen den beiden Staaten vor.

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