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RECHT

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Dorfgericht

Das Dorfgericht war eine auf ein Dorf beschränkte Institution mit richterlichen Aufgaben im Rahmen der niederen Gerichtsbarkeit und der bäuerlichen Selbstverwaltung im Mittelalter und der frühen Neuzeit.


Im Hoch- und Spätmittelalter gab es eine außerordentliche Vielfalt von Gerichtszuständigkeiten in persönlicher, örtlicher und sachlicher Hinsicht, die sich vom frühen 10. bis zum späten 15. Jahrhundert stark veränderten.

Nach dem Übergang der Gerichtsbarkeit der alten Grafengerichte an die Zentgerichte entstanden die auf ein Dorf beschränkten neuen Niedergerichte. Auch die nur ein Dorf umfassenden Hofgerichte bezeichnet man als Dorfgerichte. Das Recht (Dorfrecht), nach dem geurteilt wurde, war in Dorfordnungen verzeichnet. Gehörte ein Dorf in eine Grundherrschaft, dann war der Grundherr der Gerichtsherr. Seit dem späten Mittelalter liegt die Gerichtsherrschaft vor allem in der Hand des Territorialherrn. So wurde das Dorfgericht seit dem 14. Jahrhundert auch ordentliches Gericht der persönlich freien Bauern. Mit verminderter Kompetenz bestanden Dorfgerichte zum Teil bis ins 19. Jahrhundert.

Kurpfalz

Für alle Angelegenheiten, die den Grundbesitz betrafen, war ursprünglich das grundherrliche Hofgericht zuständig. Dieses privatrechtliche Gericht verschmolz im ausgehenden Mittelalter mit dem öffentlichen Gericht des Territorialherren. Der Kurpfalz war es vielfach gelungen, die gesamte Gerichtsbarkeit über ein Dorf in ihrer Hand zu vereinigen. Im Dorfgericht übte sie nicht nur die niedere Gerichtsbarkeit über alle Dorfgenossen aus, sondern sie erledigte dort jetzt auch die Grundstücksgeschäfte anderer Grundherren im Dorf.

In jedem Vierteljahr hielt der Schultheiß eine für alle gemeindeberechtigten Einwohner bestimmte Gerichtsversammlung ab, ein "offenes" (öffentliches) Gericht. Es war ein "gebotenes" Gericht, denn der Schultheiß musste den von ihm vorgesehenen Tag verkünden. Auch die minderberechtigten Mitglieder der Gemeinde nahmen teil, als Glieder der dörflichen Gerichtsgemeinde. Jeder musste Verstöße gegen die Dorfordnung, die er gesehen oder von denen er gehört hatte, vor der Öffentlichkeit verborgen beim Bürgermeister rügen (anzeigen), der den Fall untersuchte und das Ergebnis an das Gericht gab. In einer nichtöffentlichen Sitzung wurde der Beschuldigte von den Geschworenen (Schöffen) angeklagt. Gegebenenfalls hatte der Bürgermeister das vom Gericht verhängte Bußgeld einzutreiben.

Am "offenen" Gerichtstag fand nicht nur das Rügegericht statt, sondern der Tag war auch für zivile Gerichtsverfahren bestimmt. Das Verfahren war ein mündlicher, öffentlich geführter Streit zwischen Kläger und Beklagtem. Beim dritten Gerichtstermin nahm der Beklagte zum Klagevorwurf Stellung. Alles von ihm Bestrittene musste er beweisen; notfalls erhielt er zweimal acht Tage Aufschub. Der Kläger gliederte den Stoff in die Behauptung einzelner Tatsachen, gegen die sich der Beklagte in jedem einzelnen Punkt verteidigte. Behauptungen, die der Beschuldigte verneinte, hatte der Kläger zu beweisen. Die jeweilige Partei wandte sich mit ihren Ausführungen an den Richter (Schultheiß), der bei jeder einzelnen Position die Urteiler (Schöffen) zur Urteilsfindung aufforderte. Über die Urteilsfrage des Richters und die Zwischenurteile der Urteiler entwickelte sich der Prozess fort bis hin zum Endurteil, das der Schultheiß verkündete. Nicht immer waren alle Schöffen mit einer Sache beschäftigt; bei leichteren Fällen und Sachen von geringem Wert beteiligten sich manchmal nur einige.

Der Schultheiß konnte Zeugen verpflichten. (Man ist diesem ein mas wein und zween pfennig brod schuldig.) Auch das Gerichtszeugnis wurde üblich, die nach einem Rechtshilfeersuchen des Dorfgerichts erteilte Auskunft des Oberhofs (Obergericht). Bei einer Klage zur Wiederherstellung der beschädigten Ehre, bei Liegenschaftssachen oder bei Betrug sollten sich die Parteien über einen "Vorsprecher", einen vom Gericht bestellten, rechtserfahrenen Laien, an den Richter wenden.

Vier Wochen nach dem "gebotenen" gab es bei Bedarf ein "selbstgebotenes" Gericht, zu dem nicht geladen wurde, da der Tag durch den Termin des "offenen " Gerichts bestimmt war. Neben dem "gebotenen" und dem "selbstgebotenen" gab es das "Kaufgericht", eine Gerichtsverhandlung, die man bezahlen musste. Jeder, der nicht zur Gerichtsgemeinde gehörte, konnte einen Gerichtstag "kaufen". Diese Möglichkeit stand auch dem Einheimischen offen, wenn er nicht auf den allgemeinen Gerichtstag warten wollte. Eine einmal erhobene Klage musste nach der Ladung des Beklagten durchgeführt werden, mit allen Risiken für den Kläger. Damit war sichergestellt, dass niemand leichtfertig klagte.

Sachsen

Um 1300 war die mit der Rodung riesiger Wälder verbundene bäuerliche Kolonisation des 12./13. Jahrhunderts in Sachsen abgeschlossen; sie wurde in einem einheitlichen Vorgang jeweils von einer Dorfgemeinde getragen. Weitgehend frei von herrschaftlichen Eingriffen entstand eine Selbstverwaltung für die Regelung des sozialen Lebens im Dorf; besitzlose Unterschichten gab es noch nicht. Auch die geordnete Flurnutzung musste von der Gemeinde geregelt werden.

Die Dorfherrschaft hatte sich neben ihren feudalen Rechten die Gerichtsbarkeit vorbehalten. Zur Beilegung kleinerer Streitfälle und Vergehen in Dörfern mit manchmal mehr als 60 Bauernstellen und etwa 300 Einwohnern besaß die Gemeinde eine Eigengerichtsbarkeit. Das angewandte Recht war älter als die Gemeinde: Die Siedler des 12. Jahrhunderts hatten es aus ihren Heimatgebieten mitgebracht, flämisches und oberfränkisches Recht. Das Recht der an der Kolonisation ebenfalls beteiligten deutschen Altstämme, der (Nieder-)Sachsen und der Thüringer, zeigt sich weniger deutlich in den Quellen. Die Institution zur Bewältigung der Aufgaben nennt man erst in der frühen Neuzeit Dorfgericht, vorher gab es für diese Einrichtung unterschiedliche Namen. Den Dorfvorsteher nannte man Schultheiß, Bauermeister, Heimbürge oder Richter, wobei sich Richter in der frühen Neuzeit allgemein durchsetzte. Er und vier bis sechs Bauern als Schöppen (Schöffen) bildeten das Dorfgericht, das mehrmals im Jahr vor versammelter Gemeinde zu bestimmten Zeiten Gerichtstage abhielt, die Jahrgerichte (Jahrding). Der Richter hatte die Gerichtshandlung zu leiten und für die ordnungsgemäße Durchführung zu sorgen. Dorfgenossen konnten in eigener Zuständigkeit über Dorfgenossen richten, allerdings nur in Fällen der niederen Gerichtsbarkeit.

Im späten Mittelalter wurden die rechtlichen Funktionen des Dorfgerichts durch das Vordringen der Patrimonialgerichte der Grundherrn zurückgedrängt; es war jetzt ganz auf die Regelung des dörflichen Gemeinschaftslebens und der Flurnutzung beschränkt. Zu diesem Zweck wurden zwei- bis viermal im Jahr Gemeindeversammlungen abgehalten, in der Regel mit Gemeindebier, wobei die Teilnahme aller Mitglieder Pflicht war. Diese "Kührtage" (Kurtage) dienten der Rechnungslegung des Haushalts und der Regelung dörflicher Angelegenheiten, insbesondere der Feuerschau und Grenzbegehung. In der Neuzeit hat die Gemeinde die Gerichtsbarkeit verloren, sie rief aber nach wie vor die Gerichtspersonen zusammen, deren Teilnahme an den weiterhin stattfindenden Jahrgerichten sich auf ein rein formales Mitwirken beschränkte. Das alte Dorfgericht, eine Institution zur Selbstverwaltung des dörflichen Lebens, hatte sich zum Organ des Gerichtsherrn gewandelt.

Literatur

  • Gerhard Kiesow (Bearb.): In: Schluchtern. Ein kurpfälzisches Dorf im 16.Jahrhundert. Quellentexte bearbeitet und kommentiert. BoD, Norderstedt 2004, S. 89-108. ISBN 978-3833405181

  • Karlheinz Blaschke: Dorfgemeinde und Stadtgemeinde in Sachsen zwischen 1300 und 1800. In: Peter Blickle (Hrsg.): Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. R. Oldenburg, München 1991, S. 119-143. ISBN 978-3486558869

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