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ARABISCHE WELT

21.02.2011

Libyen versinkt im Chaos: 60 Tote nach Massenprotesten

Die Lage in Libyen eskaliert. Das Regime des seit über 40 Jahren herrschenden libyschen Staatspräsidenten und Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi geht mit brutaler Härte gegen Demonstranten vor. Die arabische Nachrichtenagentur Al Jazeera spricht unter Berufung auf Rettungskräfte von mindestens 60 Toten allein in der libyschen Hauptstadt Tripolis am Montag. Der Sohn des Machthabers, Saif al-Islam al-Gaddafi, bestätigte heute 14 Tote in Tripolis und 84 in Benghazi. Die Proteste haben inzwischen auf andere Städte übergriffen. Das ganze Land ist in Aufruhr. Augenzeugen berichteten von Gewehrfeuer gegen Demonstranten.

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen in das arabische Land. Die Bundesregierung Deutschlands forderte alle Deutschen auf, das Land zu verlassen. Die Außenminister der Europäischen Union einigten sich am Montag darauf, für alle EU-Bürger eine Reisewarnung für Libyen auszusprechen. Österreichische Staatsbürger sollen mit einer Maschine des Bundesheeres ausgeflogen werden. Auf einem Linienflug waren bereits 136 Passagiere nach Österreich gebucht. Da aber wesentlich mehr Bürger Österreichs ausreisen wollten, wurde die Militärmaschine bereitgestellt.

Der Justizminister Libyens, Mustafa Mohamed Abud al-Dscheleil, hat nach Angaben der libyschen Zeitung "Kurina" aus Protest gegen das rücksichtslose Vorgehen der eigenen Regierung gegen die Demonstranten seinen Rücktritt von seinem Ministeramt erklärt. Ein libyscher Diplomat, Ahmad Jibreel, bestätigte diese Information gegenüber Al Jazeera.

Auch nach der Ankündigung von Reformen durch den Sohn des Präsidenten, Saif al-Islam al-Gaddafi, der neben neuen Strafgesetzen Reformen bei Presse- und Bürgerfreiheiten ankündigte, setzten sich die Massenproteste der letzten Tage auch am heutigen Montag fort. In Tripolis wurden Gebäude des staatlichen Radio- und Fernsehsenders gestürmt und verwüstet, erklärte ein Reuters-Reporter. In verschiedenen Landesteilen setzten Demonstranten Polizeireviere und öffentliche Gebäude in Brand. Das sagten Augenzeugen der Nachrichtenagentur AFP. In der Nähe des Stadtzentrums in Tripolis ging der sogenannte Saal des Volkes in Flammen auf. Die Menschenrechtsorganisation "Föderation der Menschenrechtsligen" (FIDH) erklärte in Paris, mehrere Städte seien unter Kontrolle von Rebellen. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür nicht.

Seif el Islam warnte in seiner Ansprache im Fernsehen vor einem Bürgerkrieg, die Demonstranten selbst bezeichnete er als "militante Islamisten". In der Ansprache warnte er außerdem vor einem möglichen Eingreifen der USA und der NATO: "Ihr glaubt doch wohl nicht ernsthaft, dass die Europäer, die USA und die Nato islamische Emirate an der Küste des Mittelmeeres dulden werden? Nein, ich versichere euch, dass die Flotten der Amerikaner und Europäer auf dem Weg zu euch sind und dass sie euer Land besetzen werden. Sie werden dieses ganze Chaos beenden." Bisher führten die Einschüchterungsversuche und Maßnahmen der Regierung zur Niederschlagung der Proteste jedoch nicht zu einer Beruhigung der Lage. Die Zahl der Demonstranten nimmt seit Tagen eher zu. Das Gaddafi-Regime hat offenbar einen schweren Stand. Aus der zweitgrößten Stadt Banghazi berichten Medien von Verbrüderungsszenen zwischen Armee und Demonstranten.

Nach Angaben der türkischen Regierung wurden türkische Unternehmen in Libyen von Aufständischen geplündert. Ausländische Unternehmen begannen angesichts der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Libyen damit, ihre Mitarbeiter aus Libyen abzuziehen, darunter die BASF-Tochter Wintershall, RWE und Siemens. Wintershall kündigte an, die Erdölförderung in dem Land herunterzufahren. Auch der britische Energiekonzern BP begann damit, Mitarbeiter aus Libyen abzuziehen. Auf dem internationalen Rohölmarkt zogen die Preise an. Libyen ist eines der größten Erdölexportländer im Nahen Osten, aus dem vor allem Europa den wertvollen Rohstoff bezieht. Täglich werden in Libyen 1,6 Millionen Barrel Rohöl gefördert. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit 12,8 Prozent der Importe aus Libyen zweitgrößter Importeur von Rohöl hinter Italien mit 40 Prozent. Die Einnahmen des libyschen Staates stammen zu 95 Prozent aus dem Erdölgeschäft mit Europa.

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