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GESUNDHEIT

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Wissenschaftsgeschichte der Polydaktylie

Die am zweithäufigsten vorkommenden Fehlbildungen beim Menschen sind solche der Extremitäten und unter diesen Polydaktylie. Polydaktylie gehört daher zu den frühesten Forschungsobjekten der Wissenschaft. Im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte werden unterschiedliche Schwerpunkte in der Polydaktylieforschung deutlich, von Vererbungsregeln über die evolutionäre Bedeutung, exakten anatomische Analysen bis zur Erfoschung molekularer Ursachen und neuerdings verstärkt der Extremitätenentwicklung. Auch die Analyse der Variation der Zehenzahlen und die Genotyp-Phänotyp-Beziehung rücken wieder stärker in den Fokus der Forschung.

Hauptartikel: Polydaktylie

Pierre-Louis Moreau de Maupertuis - Frühe mathematische Studie zur Vererbung von Polydaktylie


Der französische Universalgelehrte Pierre-Louis Moreau de Maupertuis analysierte 1751 in einer mathematischen Studie in seinem Werk Système de la nature ou Essai sur les corps organisés. (Vom universellen System der Natur oder Essay über die organischen Körper). an mehreren Generationen der Berliner Familie Ruhe die Vererbung von Polydaktylie. Maupertuis entwickelte dabei als erster Ideen zu dominanten und rezessiven Erbgängen, sowohl bei männlichen wie weiblichen Familienmitgliedern. Er kam zu der Überzeugung, dass Polydaktylie das Resultat einer Veränderung in kleinsten vererbbaren Partikeln eines Individuums ist und entwickelte ein mathematisches Modell, um das Vorkommen des Merkmals in zukünftigen Generationen voraussagen zu können. Maupertuis verband mit Polydaktylie bereits evolutionäre Ideen, wenn er folgerte, dass Polydaktylie Veränderungen eines früheren "Prototyps" seien, der dieses Merkmal noch nicht aufweist. Erst bei ausreichend starker Vererbung über viele Generationen und durch beide Geschlechter käme es zu einer "Speziesänderung".

Robert Chambers - Ein polydaktyler Wissenschaftler

In Großbritannien war der schottische Forscher Robert Chambers selbst polydaktyl. Er und sein Bruder hatten an beiden Händen und Füßen 6 Finger bzw. 6 Zehen. Chambers, ein wichtiger Vorgänger Darwins, publizierte sein Hauptwerk Vestiges of the Natural History of Creation (dt.: Spuren der Naturgeschichte der Schöpfung) 1844 anonym. Es war nach den Überlegungen von Darwins Großvater Erasmus das erste verbreitete Buch in Großbritannien zu Evolution und zur Abstammung der Arten von einem gemeinsamen Vorgänger. Evolutionsmechanismen konnte er allerdings noch nicht ausmachen. Es war wohl Chambers' eigene Polydaktylie, die ihn zu Überlegungen animierte, dass vererbbare Mutationen die primären Ursachen für Evolution durch Abstammung mit Veränderung ("descent with modification") darstellen. Chambers' Buch wurde eines der erfolgreichsten populärwissenschaftlichen Bücher des 19. Jahrhunderts.

Charles Darwin kannte die Vererbung diskontinuierlicher Merkmale

Charles Darwin kannte das Merkmal Polydaktylie. In seinem 1868 erschienenen Buch The Variation of Animals and Plants under Domestication (dt.: Das Variieren de Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication nennt Darwin Polydaktylie bei Hunden, insbesondere bei Doggen und ausführlicher bei Katzen. Er erwähnt, dass er von einer Familie mit sechszehigen Katzen gehört hat. Bei den vielen körperlichen Merkmalen, die Darwin bei Zuchttieren beschreibt und unter denen Polydaktylie nur eines ist, war Darwin bewusst, dass sich Variationen solch komplexer Art in einer einzigen Generation entwickeln und vererben können. Dies floss jedoch nicht in Darwins Evolutionstheorie ein und wurde auch von der späteren Synthetischen Evolutionstheorie übergangen. Marginale Änderungen wurden stets als die Rohmaterialgrundlage für die Veränderungen von Arten gesehen. Die englische Originalversion des genannten Werks von Darwin erwähnt die Vererbung der Polydaktylie, während die deutsche Übersetzung von Victor Carus das fälschlicherweise auslässt.

William Bateson über diskontinuierliche Variation

Eine bedeutende Arbeit im HInblick auf die erst 35 Jahre alte Evolutionstheorie Darwins erschien 1894 von William Bateson. Bateson, ein Evolutionist, der sich gegenüber Darwin darin abgrenzte, dass er diskontinuierliche gegenüber graduellen Merkmalsänderungen als bedeutender für den evolutionären Wandel bewertete, analysierte hierfür unzählige Merkmale, darunter auch Polydaktylie auf 40 Seiten bei mehreren Arten. Bei der Katze beschreibt Bateson detailliert je vier polydaktyle Fußformen an Vorder- und Hinterfuß, darunter auch die heute als Hemingway-Mutant bekannte Variation mit 7 Zehen am Vorderfuß, einem bifurkativen Zeh am ersten Zeh sowie einem zusätzlichen kompletten neuen, sehr dünnen Zeh an der (anterioren) Handinnenseite. Freilich konnte Bateson noch nicht wissen, dass sich einige der von ihm beschriebenen Mutanten auf dieselbe Mutation zurückführen lassen. Beim Mensch entdeckte Bateson einen neuen Mittelhandknochen, der notwendig wird, um an einer polydaktylen Hand mit 7 Fingern diese geordnet in den Handapparat und den Arm integrieren zu können. Ein Makaken-Affe mit 9 Zehen an einem Fuß wird beschrieben.

Vor 100 Jahren - Exakte anatomische Studien

Neben den genannten Studien erschienen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Arbeiten zu Polydaktylie, darunter die älteste englischsprachige Arbeit dediziert über Polydaktylie von J. Struthers (1863). 1902 publizierte F. Howe eine Arbeit mit dem Titel ''A case of Abnormality in Cats' Paws.'' Darin beschrieb Howe detailliert die Anatomie polydaktyler Vorder- und Hinterpfoten der Katze, wobei er sich nicht auf das Skelett beschränkte sondern Zeichnungen und Erläuterungen zur Muskulatur, den Nerven und zu Blutgefäßen lieferte. Howe nahm äußerst exakte Vermessungen von Länge und Gewicht der Extremitäten bis hin zu den einzelnen Zehen vor.

Eine ähnlich ausgerichtete Studie erschien 1903, ebenfalls in den USA von C. W.Prentiss über Polydaktylie beim Menschen und domestizierten Tieren mit besonderer Berücksichtigung von Zehenvariationen beim Schwein. Auch Prentiss konzentrierte sich auf die anatomische Beschreibung und Zeichnungen polydaktyler Gliedmaßen. Er beschrieb als erster, wie eine Muskelumleitung des beim Wildtyp für den ersten Zeh zuständigen Streckmuskels Extensor proprior internus auftritt, um den neuen Zeh beim Schwein zu bedienen. Die Arbeit war mühsam, mussten doch im Glas präparierte in vitro Schweinfüße, die jahrelang im Museum gelagert waren, schichtweise seziert werden, um die Verläufe von Muskeln oder Nerven feststellen zu können. Bezüglich der Vererbung schloss Prentiss externe Einflüsse, insbesondere Polydaktylie als ein vererbtes Merkmal erworbener Eigenschaften im Sinne Lamarcks aus. Prentiss legte 8 Jahre nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen eine Reihe solcher Aufnahmen vom Schwein zu Polydaktylie vor.

Bis 1945 waren verschiedene Formen von Polydaktylie beschrieben, darunter solche beim Mensch (Förster 1861, Gegenbauer, 1888 und 1890, Bardeleben 1895, Stockard 1921, Cummins 1922) und bei einer Reihe von Tieren, neben den genannten Arbeiten mehrere andere zu Katzen, Pferd (Arloing 1867, Boss 1895), Rind (Boss 1890), Hühnchen (Ánthony 1899, Gabriel 1946) und Eule (Danforth 1919, Sturkie 1943, Warren 1944).

Sewall Wright - Schwellenwerteffekte in der Entwicklung

1934 publizierte der amerikanische Evolutionstheoretiker Sewall Wright eine erste von zwei Arbeiten über 23 Linien einer inzüchtigen Meerschweinchenpopulation. Wright stellte erstmals maternale und damit nicht mendelsche Effekte bei Polydatylie fest. So nimmt laut seinem Ergebnis Polydaktylie mit dem Alter der Mutter signifikant ab. Auch einen saisonalen Einfluss konnte Wright feststellen, wonach der Anteil polydaktyler Jungen im Winter mit 37,5% der Geburten um die Hälfte höher ist als im Sommer mit 25,5% der Geburten. Er kam zu dem Schluss, dass das Auftreten eines atavistischen Zehs auf die Kombination genetischer Effekte und nicht-genetischer Schwellenwerteffekte zurückzuführen ist, eine zum damaligen Zeitpunkt sehr moderne Anschauung. 1947 erschien eine Arbeit über präaxial polydaktyle Katzen von C. H. Danforth, Stanford Universität Kalifornien. Danforth unternahm eine Vererbungsstudie zu 97 polydaktylen Katzen über mehrere Generationen unter Laborkontrolle. Er stellte den autosomal dominanten Vererbungscharakter des Merkmals bei der Katze mit einer hohen Penetranz und variabler Expression fest, ordnete alle beobachteten Variationsformen ausdrücklich derselben Genmutation zu und war der erste Wissenschaftler, der die Häufigkeit alternativer Zehenformationen bei polydaktylen Maine Coon Katzen erfasste und quantitativ beschrieb. In einer weiteren Studie widmete Danforth sich nochmals intensiv der Morphologie der präaxial polydaktylen Katze. Dabei beschrieb Danforth die Ausweitung und Unterteilung des Nervus saphenus weit proximal entfernt vom Fuß der Katze und konnte damit zur Aufdeckung der hohen Integrationsfähigkeit der embryonalen Entwicklung beitragen. Danforth spekulierte, dass die Evolution des Fußes mit Faktoren zusammenhängt, die die embryonalen Entwicklung der Zehen regulieren, ein vorsichtiger Vorgriff auf spätere EvoDevo-Gedanken.

Molekulare Ursachenforschung

Nach der Entdeckung der DNA und mit den fortschreitenden Erfolgen der Molekularbiologie lag das Interesse seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts darin, die genetischen Ursachen von Polydaktylie zu erforschen. Signifikante Durchbrüche kamen vermehrt mit Beginn des neuen Jahrtausends zustande. Bis heute wurden mehr als 100 Polydaktylieformen aufgedeckt, viele davon als Syndrome, das heißt, dass Polydaktylie und gleichzeitig auch andere Fehlbildungen mit einer bestimmten genetischen Mutation assoziiert werden. Die Mutationsformen für Polydaktylie umfassen sowohl Mutationen in diversen Genen bzw. Proteinen wie (Sonic hedgehog, Indian hedgehog, Knochenmorphogenetische Proteine (BMP), Gli3, Hoxa, Hoxd etc.) als auch solche in cis-Elementen, die spezifische Genexpressionen während der Handentwicklung steuern. Die Entdeckung solcher cis-Elemente im Zusammenhang mit Polydaktylie trug seit 2002 stark dazu bei, das Verständnis nicht codierender DNA-Elemente für die Entwicklung zu erhöhen, hatte man doch nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms 2002 diese DNA-Bereiche noch voreilig als "DNA-Schrott" bezeichnet. Zu den herausragenden Arbeiten zählen hierbei die Studien aus dem Team Laura A. Lettice und Robert Hill in Edinburgh. Die Forscher konnten den Locus für Polydaktylie beim Hemingway-Mutanten einer Punktmutation in einem nicht codierenden DNA-Element, der ZPA regulator sequence (ZRS) zuordnen, ein cis-Element, das die Expression von Sonic hedghog (Shh) steuert. Dieser in der Evolution hoch konservierte Enhancer ist mit mehr als 800.000 Basenpaaren Entfernung außergewöhnlich weit von seinem Zielgen entfernt. Die Mutation kommt beim Mensch, bei der Katze und der Maus vor. Die ektopische Expresssion von Shh auf der anterioren Seite der Knospe wurde in diesem Zusammenhang entdeckt. 2012 konnte im selben Team erstmals die komplexe Wirkweise dieses cis-Elements im Zusammenspiel mit mehreren Transkriptionsfaktoren auf das Zielgen Shh genauer aufgedeckt werden.

Computersimulationen der Extremitätenentwicklung

Hauptartikel: Extremitätenentwicklung

Bei der Erforschung der Extremtitätenentwicklung hat Polydaktylie stets eine Rolle gespielt. Die Überlegung war: Könnte man erklären, wie ein separater neuer Finger entsteht, könnte man wohl auch die Entstehung der Hand erklären. So war das Experiment von Saunders und Gasseling 1968 epochal, bei dem es gelang, im Labor beim Hühnchen die Anzahl Zehen spiegelbildlich zu verdoppeln. Der Erfolg des Experiments war die Entdeckung der Zone polarisierender Aktivität (ZPA) in der Extremitätenknospe.

Computermodellierungen der Handentwicklung, basierend auf Turing-Mechanismen existieren seit 1974.Newman, S. A. and Frisch H.L. 1979: Dynamics of Skeletal Pattern Formation in Developing Chick Limb Wenn die Entwicklung der Wirbeltierhand im Modell simuliert werden kann, muss nach der Vorstellung der Forscher dieser Gruppe mit solchen Modellen auch gezeigt werden können, wie Handfehlbildungen induziert werden und wie im speziellen Polydaktylie die Musterbildung der Hand beeinflusst. Als einer der ersten konnte Takashi Miura, Kyoto, Japan, 2006 zeigen unter welchen Bedingungen polydaktyle Finger im Computermodell entstehen und wie sie aussehen. So demonstrierte er etwa Bifurkationen, das sind Abgabelungen neuer Fingerelemente aus bestehenden sowie dünne neue Finger bzw. Zehen, wie sie typischerweise bei der Katze oder der Maus (Doublefoot Mutant) auftreten.

Ein Team um Stuart A. Newman, New York, demonstrierte 2010, dass man Polydaktylie in Simulationsmodellen darstellen kann, indem zum Beispiel die Breite der Extremitätenknospe - im Modell spricht man von Domäne - vergrößert wird, wodurch mehr Zellgewebe zur Verfügung steht, was wiederum die Bildung neuer Finger oder Zehen im Modell ermöglich Einen anderen Polydaktylie-Modellansatz, zeigten Sheth et al. 2012. Er basiert ebenfalls auf einem Turingmodell. Danach beeinflussen Hoxgene in der Extremitätenknospe die Abstände der Finger. Engere Abstände, verursacht durch Mutationen von Hoxgenen, geben mehr Fingern auf ähnlich großem Raum Platz.

EvoDevo - Perspektivwechsel auf die Entwicklung

Eine empirische Studie der evolutionären Entwicklungsbiologie der Universität Wien von 2013 beschreibt Polydaktylie beim Hemingway-Mutanten der Maine Coon. Der Name entstammt einer Population polydaktyler Katzen von Ernest Hemingway in seinem Haus in Key West Florida. Bei der Polydaktylieform des Hemingway-Mutanten liegt eine gerichtete Variation in dem Sinne vor, dass erstens die Anzahl der zusätzlichen Zehen variabel oder plastisch ist und zweitens die Anzahl zusätzlicher Zehen einer diskontinuierlichen statistischen Verteilung folgt und nicht gleichverteilt ist, wie man bei identischen Punktmutationen erwarten würde. Das Merkmal Polydaktylie beim Heminway-Mutant ist ein Polyphänismus, da ein- und dieselbe Punktmutation zu einer Reihe phänotypischer Variationsformen führt. Bei der Maine Coon Katze (Wildtyp: 18 Zehen) tritt Polydaktylie in einigen Fällen mit 18 Zehen durch Verlängerung des ersten Zehs und seine Umbildung zu einem dreigelenkigen Daumen auf; wesentlich häufiger jedoch finden sich 20 Zehen und von diesen aus abnehmend häufig 22, 24 oder 26 Zehen, seltener auch ungerade Zehenkombinationen an den Füßen. Eine weitere statistische Gerichtetheit konnte bei der Differenz der Zehenzahlen an Vorder- und Hinterfüßen festgestellt werden, und auch eine leichte Links-rechts-Asymmetrie der Zehenzahl wurde beobachtet.[12].

Bei einer umfangreichen phänotypischen Variation wie dieser mit der Entwicklung eines oder sogar mehrerer kompletter neuer Finger und/oder Zehen einschließlich allen Blutgefäßen, Nerven, Muskeln, Sehnen sowie deren vollständiger Funktionsfähigkeit kann die genetische Mutation das umfangreiche phänotypische Resultat nicht hinreichend erklären. Sie sagt nur, wie die Variation angestoßen wird. In der Folge der Mutation kommt es zu zigtausenden kleinen Ereignissen auf unterschiedlichen Organisationsebenen, darunter Expressionsänderungen anderer Gene, ektopische Expression von Shh, Zellsignalaustausch, Zelldifferenzierung, Zell- und Gewebewachstum. Die summierten zufälligen Änderungen auf allen diesen Ebenen sind das Material für die Prozessschritte der Entstehung der plastischen Variation, in diesem Fall für die Entstehung eines oder mehrerer neuer Zehen. Die nach dem Zentralen Grenzwertsatz normalverteilten summierten genetischen und zellulären Effekte können die Gerichtetheit der Zehenzahlen in einer diskontinuierlichen Verteilung mit Schwellenwerten abbilden und so erstmals ein durchgängiges "Mapping" herstellen zwischen der molekularen Ebene bzw. Zellebene und dem Phänotyp..

Diese Arbeit über Polydaktylie eröffnet erstens eine erweiterte Sicht darauf, wie Innovationen in der Evolution entstehen können. Da polydaktyle Finger oder Zehen kein homologes Merkmal besitzen, das heißt, da an der Stelle eines neuen Fingers beim Wildtyp weder Zellen noch Gewebe existieren, wird ein polydaktyler Finger oder Zeh als phänotypische Innovation gesehen. Art und Umfang, wie beim Hemingway-Mutanten neue Zehen entstehen, können als Beispiel dafür gesehen werden, wie in anderen Fällen evolutionär neue Elemente entstehen, die nicht nur zur Vorläufergeneration sondern auch zum selben Organismus nicht homolog sind. Zweitens entsteht ein korrigierter Blick auf das Verhältnis zwischen Genotyp und Phänotyp, weil einmal mehr eine genetische Mutation nicht mehr zwingend in Verbindung mit einer bestimmten, eindeutigen phänotypischen Variation gebracht werden kann. Vielmehr ist das Genotyp-Phänotyp-Verhältnis wesentlich komplexer.

Die Form der beschriebenen Gerichtetheit (engl.: Bias) ist der synthetischen Evolutionstheorie fremd. Gerichtete Variation bei Polydaktylie ist ein typisches EvoDevo-Beispiel. Hier bekommt die natürliche Selektion durch die Selbstorganisationsfähigkeit der embryonalen Entwicklung eine "turnkey Lösung" präsentiert. Die natürliche Selektion ist bei der Erzeugung der umfangreichen plastischen Variation nicht beteiligt. Sie kann erst nach Vorlage der Variation eingreifen und aus der Plastizität der verschiedenen Formen wählen, was ihren theoretischen Stellenwert relativiert. Die Entdeckung trägt dazu bei, Mechanismen der Entwicklung für die Evolution besser zu verstehen und das Gewicht der beteiligten Faktoren in der Evolution (Mutation, natürliche Selektion, embryonale Entwicklung) neu zu sondieren (siehe: EvoDevo).

Chirurgie der Polydaktylie

Polydaktylie war als Fehlbildung beim Mensch nie ein vorzeigbares Merkmal. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit galt bei der Geburt eines Kindes die Frage danach, ob es 10 Finger und 10 Zehen habe symbolisch dafür, ob das Kind gesund sei. Die Frage war noch im 20. Jahrhundert sehr verbreitet. Während bei postaxialer Polydaktylie zusätzliche Finger sehr schön in den Handapparat eingebettet sein können aber nicht müssen, ist das bei präaxialer Polydaktylie der Hand nicht der Fall, da es in den meisten Fällen zu einer partiellen, unschönen Verdoppelung des Daumens kommt und auch eine seltene vollständige Verdoppelung eines oder beider Daumen unnatürlich aussieht. Eine erste kurze medizinisch wissenschaftliche Arbeit zur Behandlung von Polydaktylie findet sich daher bereits 1938. Nach weiteren Studien 1969, 1977 und 1978, erschien 1983 eine Studie zu 237 klinischen Operationen am polydaktylen Daumen, die über einen Zeitraum von 1960 bis 1981 an der Hand-Klinik des orthopädischen Departments der Universität Osaka, Japan, vorgenommen wurden. 7 Formen von Polydaktylie am Daumen wurden hier unterschieden, beginnend mit sehr distaler Bifurkation am letzten Fingerglied über zunehmend proximalere Formen am zweiten Fingerglied bis zu Abgabelungen am Mittelhandknochen des Daumens. Der seltene Fall, dass sich keine Bifurkation am Daumen ausbildet sondern es zu einer vollständigen Verdoppelung dieses Fingers kommt, wurde in dieser Arbeit ebenfalls beschrieben. In diesem Fall sind auch sämtliche Sehnen und mit ihnen auch die Muskeln verdoppelt, was nicht allein medizinisch beachtet werden musste, sondern generell für die Analyse der Entstehung der Formen von Polydakytlie eine neue Erkenntnis darstellt, ohne das die Arbeit von Tada et al. das wohl anstrebte zu zeigen. Auch freiliegende, nicht mit dem Skelett verbundene, polydaktyle Knochenelemente, ähnlich wie sie bei der Maine Coon Katze auftreten, wurden von Tada et al. beschrieben und operiert.

Der Bericht von Tada et al. nennt an 193 von 237 möglichen polydaktylen Händen operative Eingriffe und beschreibt summarisch 130 Ergebnisse hinsichtlich der Beweglichkeit, Gelenkstabilität und der postoperativen Ausrichtung des Daumens. 75% der Behandlungen in einer Gruppe von 93 Händen führten nach 35 Monaten zu guten, 4% zu unbefriedigenden Ergebnissen.

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