Agnes Hacker (* 1860 in Insterburg; ? 7. September 1909 in Berlin) war eine deutsche Ärztin und Verfechterin der Frauenbewegung.
Leben
Als Tochter eines Justizrats und im Kreis zahlreicher Geschwister wuchs Agnes Hacker im Ostpreußischen Insterburg auf. Über ihre frühe Lebensentwicklung sind bislang keine Nachrichten bekannt. Es kann daher nur angenommen werden, dass sie wie eine Vielzahl der Ärztinnen aus der ersten und zweiten Generation zunächst eine Ausbildung zur Lehrerin absolvierte, bevor sie sich schließlich zu einem Medizinstudium in der Schweiz entschloss, wo dies bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts für Frauen möglich war. An der Universität in Zürich legte sie auch 1896 das Staatsexamen ab, bevor sie im Folgejahr bei dem österreichischen Frauenarzt Friedrich Schauta über ein Verfahren zur operativen Entfernung der Gebärmutter promovierte. Es folgte ein Phase der praktischen Weiterbildung, zunächst als Assistentin in der Frauenabteilung der Züricher Irrenanstalt. Möglicherweise entschied sie ich in dieser Zeit für eine Spezialisierung auf den Bereich der Chirurgie. Weitere Stationen führten sie folgerichtig zu Professor Ernst Wertheim nach Wien und Professor Max Sänger nach Leipzig. 1898 zog sie dann nach Berlin. In den verbleibenden elf Jahren ihres Lebens taucht ihr Name dort in Verbindung mit den "unterschiedlichsten ärztlichen Aktivitäten" auf. So wird sie bereits im selben Jahr neben
Pauline Ploetz und Agnes Bluhm als Kassenärztin des "Kaufmännischen und gewerblichen Hilfsvereins für weibliche Angestellte" geführt und im Jahr 1900 als erste Polizeiärztin Berlins berufen, ein Amt, das sie bis 1905 ausübte. Darüber hinaus war sie leitende Ärztin der Weißenseer
Bethabara und Beth Elim Stiftung (heute: Stephanus-Stiftung) und Operateurin, zuletzt Hausärztin der
Klinik weiblicher Ärzte. Die Stiftung unterstützte haftentlassene Prostituierte, denen sie eine erste Unterkunft, finanzielle Hilfe und ebensolche bei der Arbeitsplatzsuche bot.
Erst im Jahr 1899 beschloss der Bundesrat auch Frauen zu den ärztlichen, zahnärztlichen und pharmazeutischen Staatsexamina zuzulassen. Allerdings unter Ausschluss derjenigen, die ihre Vorbildung im Ausland erhalten oder dort ihre Examen abgelegt hatten. Für Agnes Hacker und weitere Ärztinnen ihrer Zeit wie Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus bedeutete dies nicht nur weiterhin eine ungesicherte rechtliche Stellung unter Bezug auf ihre Berufsausübung, sondern stellte auch eine existentielle Belastung dar. In der Nachwirkung des Bundesratsbeschlusses von 1899 wurde im Folgejahr der Krankenkasse des "Kaufmännischen und gewerblichen Hilfsvereins für weibliche Angestellte" untersagt, nicht in Deutschland approbierte Ärztinnen zu beschäftigen. Eine Weiterarbeit von Bluhm, Hacker und Ploetz war nur noch möglich, indem sie als Vereinsärztinnen firmierten. Eine von Hacker in Gemeinschaft mit der großen Mehrzahl der weiteren Ärztinnen vor dem Bundesrat eingebrachte Petition, auch den Ärztinnen ohne vorherige Staatsprüfung in Deutschland die Approbation zu erteilen, blieb erfolglos. Es war wohl dem Umstand geschuldet, dass Hacker dennoch stark beschäftigt war, dass sie sich erst 1908 zu einer Nachprüfung in Deutschland anmeldete, die auf Grund ihres frühen Todes aber letztlich ausblieb.
1997 wurde im sogenannten "Ärztinnenviertel" in Berlin-Altglienicke eine Straße zu ihren Ehren benannt. Weitere Straßen erhielten die Namen von Dorothea Erxleben, Emilie Lehmus, Josepha von Siebold, Franziska Tiburtius und Martha Ruben-Wolf (1887-1939).
Familie
Ihre Schwester Adrienne Hacker, eine Kunstmalerin, lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1916 mit der Ärztin Agnes Bluhm zusammen in Berlin, mit der sie auch in einer gemeinsamen Grabstätte beigesetzt wurde. Eine weitere Schwester, Anna, war mit dem Hofschauspieler Arthur Kraussneck (* 9. April 1856 auf Gut Ballethen in Ostpreußen; ? 21. April 1941 in Berlin; wirklicher Name Arthur Carl Gustav Müller) verheiratet.
Die Frauenklinik
Bereits kurz nach ihrer Ankunft in Berlin im Jahr 1898 begann Agnes Hacker mit ihrer Arbeit in der
Berliner Klinik weiblicher Ärzte. Nicht zuletzt ihre zuvor in Zürich, Wien und Leipzig gesammelten Erfahrungen auf dem Gebiet der Chirurgie kamen ihr dort zugute. Sie selbst bemaß dieser Tätigkeit eine größere Bedeutung zu, als der Praxisarbeit. Ab 1905, dem Jahr, als sie ihr Amt als Polizeiärztin niederlegte, übernahm sie auch die Leitung der Klinik, was sich in der Zahl der durchgeführten Operationen bemerkbar machte. Während die Zahl der Operationen durchaus auf dem Stand vergleichbarer Klinken lag, forcierte Hacker frühzeitig eine Klinikerweiterung. Zu diesem Zweck begründete sie im Jahr 1908, mit der bereits nicht mehr praktizierenden Franziska Tiburtius, die
Vereinigung weiblicher Ärzte zur Gründung eines Frauenkrankenhauses in Großberlin. 17 der 18 Berliner Ärztinnen wurden Mitglied. Als Ziel hatte man die großen Frauenkliniken in Boston, London oder New York im Blick und plante den Neubau eines Krankenhauses. Auf Grund der umtriebigen Vereinstätigkeiten konnte innerhalb des Knoop'schen Krankenpensionats (Karl-Schrader-Straße 10) zunächst die Krankenpflegestation erweitert werden. Der Operationssaal wurde aus Eigenmitteln der Ärztinnen nach modernsten Gesichtspunkten ausgestattet, wobei Agnes Hacker den größten Teil zugab. Die Klinik war ihr Lebensmittelpunkt. Sie bezog Wohnung in der Klinik, stand ihr als Hausärztin vor und war, so Agnes Bluhm, "gleichzeitig die fürsorgende Pflegerin". Bald nach ihrem Tod richtete der Verein "Frauenwohl" die "Agnes-Hacker-Stiftung" ein, aus der ein Freibett finanziert wurde. Für Agnes Hacker war es von elementarer Bedeutung eine Klinik zu gründen, die "nur für Frauen bestimmt und unter Leitung von weiblichen Ärzten ... von einer weiblichen Architektin gebaut ..." entstand. Letztlich blieb dem Klinikneubau die Realisierung versagt. Nach Hackers frühem Tod fehlte es an einer Nachfolgerin, die das Projekt hätte weiterbetreiben können.
Frauenbewegung
Als Polizeirätin gehörte es zu den Aufgaben von Agnes Hacker, die Erstuntersuchungen an den, der Prostitution tatsächlich oder vermeintlich nachgehenden und in Berlin lebenden Frauen vorzunehmen. Dass sie dieser Aufgabe, zumal als nicht in Deutschland approbierte Ärztin nachgehen konnte, hatte ihre Ursache wohl mit in der sogenannten Sittlichkeitsbewegung. Nach zahlreichen Übergriffen seitens der männlich dominierten Polizei kam es nicht nur aus dem Umfeld der Frauenbewegung zur Forderung nach weiblichen Sittenärzten. Eine Debatte zu diesem Problemfeld wurde umfassender innerhalb der »abolitionistischen Bewegung« geführt. Dabei gilt zu bemerken, dass Hackers Tätigkeit im Kreis der »Internationalen Abolitionistischen Föderation«, der sie selbst angehörte, durchaus kritisch gesehen wurde. Doch kam es ihr darauf an "... die Härte eines von ihr bekämpften, aber noch bestehenden Systems zu mildern ...". Agnes Hacker gehörte zahlreichen weiteren Vereinen und Organisationen an, die sich dem Kampf gegen überkommene Moralvorstellungen und der Einschränkung von Frauen in ihren Rechten verschrieben hatten, darunter der "Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten", dem Berliner "Verein Frauenwohl", seit Gründung 1902 des "Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht", des Vereins "Frauenbildung - Frauenstudium" und als Vorstandsmitglied des "Deutschen Lyceum-Clubs". Sie war ferner Mitunterzeichnerin des Gründungsaufrufs vom "Deutscher Bund für Mutterschutz und Sexualreform" (als eine von nur wenigen Ärztinnen) und wirkte als Mitglied der "Kommission zur Hebung der Sittlichkeit" innerhalb des "Bundes Deutscher Frauenvereine" an einem Petitionsentwurf zum Thema der Geschlechtskrankheiten mit.
Nach Agnes Bluhm war Hacker eine vehemente Verfechterin des Ansatzes der Frauenbewegung, dass der beste Arzt für eine Frau auch weiblich sein müsse. Augenscheinlich waren ihre Zeitgenossinnen der Auffassung, dass sie den Positionen der Frauenbewegung derart nahe kam, dass man ihr zu Ende des Jahres 1907 antrug, im Jahr 1909 als Sachverständige der Section Health zur Generalversammlung des Internationalen Frauenbundes nach Toronto zu reisen. Für die Ehre sich bei Marie Stritt bedankend, kündigte sie an, weitere Frauen zur Reise animieren zu wollen. Auf Grund ihrer Erkrankung konnte sie die Überfahrt nicht mehr antreten.
Schriften
- Über abdominale Totalexstirpation des schwangeren myomatösen Uterus. Dissertation Universität Zürich, Karger, Berlin 1897.
Literatur
- Kristin Hoesch: Eine Ärztin der zweiten Generation: Agnes Hacker: Chirurgin, Pädagogin, Politikerin. In: Eva Brinkschulte (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geschichte der Medizin der Freien Universität Berlin: Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland. Edition Hentrich, Berlin 1994, ISBN 3-89468-119-5, S. 58-64; auf S. 169 findet sich der Vermerk, das Agnes Hacker am 8. August 1909 in Berlin gestorben sei.
- Kristin Hoesch: "Berufsgenossinnen..." Drei Lebensbeschreibungen auf dem Weg zur Anerkennung weiblicher Ärzte in Berlin. Franziska Tiburtius, Emilie Lehmus und Agnes Hacker. In: Henrike Hülsbergen: Stadtbild und Frauenleben. Berlin im Spiegel von 16 Frauenporträts. (=Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Berlinische Lebensbilder. Band 9. Stadtbild und Frauenleben.) Historische Kommission zu Berlin, Stapp Verlag Berlin, Berlin 1997, ISBN 3-87776-213-1.
Weblinks