C6 MAGAZIN
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DIE ANGST VOR DER ANGST 29.7.2002

Angst

Die Nackenhaare stellen sich auf, das Herz pocht, und der kalte Schweiß läuft die Stirn hinunter. Selbst Cäsar, ein furchtloser Mann, der die Welt veränderte, hatte Angst vor Katzen. Doch was tun, wenn man von der nackten Angst gepackt wird?
    
Buchtipps
"Ängste verstehn und überwinden" von Dr. Doris Wolf | ISBN 3-923614-32-2 Inhalt: - wie Angst und Panikattacken entstehen und aufrechterhalten werden - wann Angst normal und wann sie irrational ist - dass Sie Ihrer Angst nicht wehrlos ausgeliefert sind - wie Sie mit der Angst vor der Angst umgehen können, - mit welcher Strategie Sie Ihre Angst am besten überwinden können - wie es anderen Menschen gelungen ist, sich von ihren Ängsten zu befreien
 
Spätestens seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York hat sich die Angst wieder in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Mit entsetzen Gesichtern saß die halbe Welt vor den Fernsehbildschirmen. Hoffte, bangte mit den eingeschlossenen Leuten in den Türmen. Und dann das Unfassbare: Der Einsturz. Das Schlimmste, was passieren konnte, war geschehen.

Fast genau so verhält es sich mit den Angstgefühlen, die in unseren Köpfen herumgeistern. Nur mit dem Unterschied, dass eben nicht das Schlimmste passiert. Alles pure Einbildung. Nur die Angst, die ist echt.

"Ich stand vor dem Aufzug, und plötzlich wurde mir ganz schwarz vor Augen", so die 33jährige Daniela, die in einem der Hochhäuser an der Neckarpromenade gelebt hatte.
Heutzutage ist man kaum mehr in der Lage, seinen Ängsten den nötigen Platz zu geben. Beispielsweise wäre es im 17. Jahrhundert niemandem aufgefallen, wenn ein an Höhenangst leidender Dachdecker das Haus nicht mehr verlassen hatte. Der Mensch vegetierte zu Hause vor sich hin. Ausweichen konnte er dieser Furcht nicht, denn die Zunft zu wechseln – eine Unvorstellbarkeit.

Heute werden wir ganz direkt mit unseren Ängsten konfrontiert. Der Mensch muss mobil sein. Um die Welt fliegen, ständig mit dem Auto unterwegs sein, in Züge einsteigen, sich in den oberen Etagen der Hochhäuser einrichten. Wenn es keinen Platz mehr gibt, dann wird eben übereinander gebaut.

Ängste beherrschten die Menschheit schon seit jeher. Mit Opfern versuchten die Völker, die Götter milde zu stimmen. Das Fegefeuer, die ewigen Verdammnis. Herrscher wussten diese Ängste zu schüren, um ihre Untertanen besser zu kontrollieren und manipulieren.
Kriege und Seuchen gibt es heute auch noch. Genau wie Ängste. Damals wie heute werden Angstpatienten als Verrückte, Irre, oder Besessene hingestellt.

"Man wird doch nicht für voll genommen, wenn man sagt, dass man Angst hat, von Viren verseucht zu werden", sagt Martthias aus Ludwigshafen. "Und noch mehr wird gelacht, wenn die Leute wissen, dass man Chemikant in der BASF ist. Also behält man das lieber für sich."
Matthias Wohnung ist steril wie ein Krankenhaus-OP. In jedem Raum steht eine Flasche Desinfektionsmittel. Den beißenden Geruch nach Putz- und Scheuermitteln in der Nase nimmt er nicht mehr wahr. "Am liebsten würde ich den ganzen Tag Handschuhe tragen. Ich könnte ja versehentlich einen Erreger mit nach Hause nehmen."

Angst ist eine lebenswichtige (Schutz) Funktion, die Mensch und Tier in sich tragen und keinesfalls schädlich. Der Stress vor einer Prüfung ist ganz normal. Man macht sich Gedanken, der Adrenalinspiegel steigt, der Körper wird auf die Prüfung vorbereitet, auf Höchstleistung getrimmt. Die Reflexe werden beschleunigt. Sportler kennen dieses Gefühl genau wie Manager. Doch wenn der Positivstress in unkontrollierte Angst umkippt, dann ist der Absturz meist vorprogrammiert.

Die größten Ängste sind die vor dem Versagen. Es kratzt nicht nur am Ego, sondern auch am Image. Angsthase, Pfeffernase! Wer hat das nicht schon einmal gehört? Mutproben unter Kindern sind wichtig, um dazuzugehören. Geht man ein hohes Risiko ein, und katapultiert das Unternehmen an die Spitze, ist man ein Held. Jemandem, der auf Nummer sicher geht, wird oft Mangel an Risikobereitschaft nachgesagt. Eine nettere Umschreibung für "Angsthase".
Sich und anderen eingestehen, dass man Angst hat, ist jedoch nicht so einfach. Lieber geht man den Gefahren aus dem Weg. "Ich war nicht in der Lage, einzusteigen. Also musste ich tagtäglich durch das Treppenhaus in den 19. Stock laufen", erzählt Daniela weiter. "Doch irgendwann wurde mir wieder schwarz vor Augen. Ich konnte das enge, dunkle Treppenhaus nicht mehr betreten." Sie ist umgezogen, wohnt nun im Erdgeschoss eines dreistöckigen Hauses in der Nähe der City.

Es dauert im Schnitt sieben Jahre, bis es nicht mehr weitergeht, und die Angstpapienten einen Arzt aufsuchen. Sie schämen sich für ihr Leiden. Als erstes lassen sie sich von einem Arzt auf körperliche Symptome durchchecken, bis sie von ihrem eigentlichen Problem berichten.

Auch Matthias hat sich erst nicht in eine Arztpraxis getraut. "Man sagt ja allgemein, dass in Krankenhäusern die meisten Viren hausen. Also ist es mir noch schwerer gefallen, mir Hilfe zu suchen."
Seit seine Beziehung in die Brüche gegangen ist, wurde der Leidensdruck so stark, dass er es nicht mehr aushielt. "Ich musste endlich etwas tun. Es ging nichts mehr. Ich glaube, wenn ich noch länger gewartet hätte, dann würde ich heute auch noch an Depressionen leiden."
Es muss sofort etwas getan werden. Die meisten Menschen schieben eine Angstbekämpfung immer wieder auf. Die Suche nach Ausreden fängt bei "Wenn es mir besser geht, dann bin ich bereit, zu einem Arzt zu gehen" an, und hört bei "Jetzt geht es mir wieder einigermaßen, ich schaffe das schon alleine", auf. Ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muss. Denn ernst ist diese einschränkende Krankheit allemal.

Eine beliebte Methode ist es, den Patienten mit der Angst direkt zu konfrontieren. Spinnen-Phobiekern werden die Krabbeltierchen auf die Hand gesetzt, Agoraphobieker auf öffentlichen Plätzen "ausgesetzt". Natürlich nur in Begleitung erfahrener Therapeuten. Eine Selbstheilung wäre nicht sehr empfehlenswert. Denn vor der Bekämpfung der Krankheit muss eine genaue Diagnose gestellt werden, um auch die Behandlung auf die Bedürfnisse des Patienten genau auszurichten. Zusätzlich kann die Therapie noch mit Medikamenten unterstützt werden. Von der Einnahme von Beruhigungsmitteln, die man frei in der Apotheke erhalten kann, ist dringend abzuraten. Auch Alkohol ist mit Vorsicht zu genießen.

"Ich möchte mir ja nicht die Sinne vernebeln lassen. Hinterher wanke ich wie ein Alkolkranker durch die Gegend und habe das nächste Problem am Hals", sagt Daniela. "Ich habe meine Angst erfolgreich bekämpft. Aber das konnte ich nur mit Unterstützung meiner Familie und die eines Therapeuten. Trotzdem war der Umzug nicht schlecht."
Ihr war anfangs etwas mulmig, als sie gemeinsam mit ihrem Arzt in den Fahrstuhl gestiegen ist. Nach einigen Malen hoch und runter ist der Therapeut dann ausgestiegen. Sie ist dann noch einige male alleine gefahren. Solange, bis sie gemerkt hatte, dass nichts passiert, und ihre Befürchtungen, der Käfig könne sie in die tiefe reißen, nicht mehr da war. "Ich habe zwar noch mit einem unangenehmen Gefühl im Magen zu kämpfen, habe aber gelernt, der Technik zu vertrauen. Es macht mich nicht mehr so verrückt wie vorher, und ich male auch nicht mehr den Teufel an die Wand."

Viele "Angsthasen" konzentrieren sich mehr auf das, was passieren könnte, als auf das, was sie sehen. Sie steigern sich regelrecht in etwas hinein, was nicht vorhanden ist.
Trotzdem sollte man seine Ängste ernst nehmen.

Erste Hilfe

- Sprechen Sie mit dem Partner oder der Familie über ihre Ängste, aber wechseln sie das Thema auch wieder. Denn wer über seine Ängste zu viel spricht, der bekommt nur noch mehr Angst.
- Gehen Sie zu einem Arzt, wenn Sie denken, die Angst könnte sie auffressen. Ärzte haben Schweigepflicht, niemand muss unbedingt etwas davon erfahren.
- Wenn Sie das Gefühl haben, der Gefahr ausweichen zu müssen, dann atmen Sie zuerst tief durch, und treten dann ruhig und langsam den Rückzug an. Es erwartet niemand, dass Sie sofort über die höchstens Brücken laufen.
- Informieren Sie sich über alles, was Ihnen Angst bereitet. Manchmal hilft es schon, ein Bisschen besser Bescheid zu wissen.
- Machen Sie sich klar, dass Angst keine Schande ist.
- Nehmen Sie ihren Partner bei der Hand, wenn Ihnen mulmig wird. Vielleicht fühlen Sie sich dann etwas sicherer.
- Bedenken Sie, dass niemand ohne Angst ist. Selbst Abraham Lincoln hatte Angst vor großen Menschenansammlungen.
rk
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Artikel vom 29. Juli 2002

Weiterführende Links
- Angst- und Panikstörungen
- Soziale Phobien

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