Kirgistan kommt nicht zur Ruhe: Rund zwei Monate nach schweren Unruhen, die zum Sturz der Regierung führten, wurden im Süden des innerasiatischen Staates mindestens 65 Personen bei Unruhen getötet. Mehrere hundert weitere Menschen - manche Berichte sprechen von mindestens 630 Personen - wurden bei den gewaltsamen Protesten in der Stadt Osch verletzt.
Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa erklärte, die Lage sei angespannt, und setzte alle verfügbaren Mittel ein, um Demonstranten aus Bischkek daran zu hindern, nach Osch zu fahren. Es wurde eine Ausgangssperre verhängt und den Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wurde später auch für Dschalalabat verhängt. In Bischkek versammeln sich Tausende, um nach Süden aufzubrechen. Sie hätten Minibusse und Taxis gekapert, meldete die Nachrichtenagentur Kabar.
In der Stadt, in der im Jahr 2005 rund 230.000 Einwohner lebten, werde geschossen, teilte Regierungssprecher Asimbek Beknasarow im Rundfunk mit. Die Unruhen hätten eine ethnische Motivation. Dies wird von Augenzeugen bestätigt. Demnach seien Kirgisen und Usbeken aneinander geraten. An den Unruhen sollen zwischen 1.000 und 3.000 Personen beteiligt sein. Jugendliche Männer zündeten Autos an und warfen Scheiben ein. Es wird gemutmaßt, dass der Konflikt aufgrund von Reibereien in einem Spielclub ausgebrochen sei. Die Regierung hat Truppen und gepanzerte Fahrzeuge in die Stadt entsandt.
Die Lage in der Stadt scheint chaotisch. Hubschrauber kreisen über dem Stadtgebiet, immer wieder fallen Schüsse. Männer kämpfen mit Knüppeln, Eisenstangen und anderen improvisierten Waffen. Andrea Berg, die bei der New Yorker Organisation Human Rights Watch (HRW) für Zentralasien zuständig ist, sagte, sie könne die Stadt nicht verlassen. Es verkehrten keine Busse, der Flugverkehr sei unterbrochen. Strom und Gas seien abgestellt, um Brände zu verhindern. Nach HRW-Angaben würden viele Usbeken die Stadt aus Angst vor Übergriffen verlassen und sich zur usbekischen Grenze aufmachen.
Die Usbeken sind mit einem Bevölkerungsanteil von 14 Prozent die zweitgrößte ethnische Gruppe in Kirgisistan, die Kirgisen stellen mit 70 Prozent der Bewohner die Bevölkerungsmehrheit. Doch im Süde des Landes ist das Verhältnis ausgeglichener, in Osch ist etwa jeder zweite Einwohner ein Usbeke.
Kirgisistan ist ein strategisch wichtiges Land. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch Russland unterhalten hier Militärstützpunkte. Russlands Präsident Dmitri Medwedew forderte ein Ende der Gewalt. Der chinesische Präsident Hu Jintao rief zu "einer raschen Stabilisation der Situation" auf. Beide Politiker hielten sich anlässlich einer Konferenz der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zur regionalen Sicherheit in Usbekistan auf.
Russland lehnte jedoch ein Hilfeersuchen Usbekistans ab. "Das ist ein interner Konflikt, und Russland sieht die Voraussetzungen noch nicht gegeben, sich an einer Regelung zu beteiligen", hieß es in einer von russischen Medien am Samstag, dem 12. Juni, veröffentlichten Erklärung von Medwedews Pressesprecherin. Man werde allerdings humanitäre Unterstützung gewähren. Kirgisistans Übergangspräsidentin Otunbajewa hatte zuvor den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin um Hilfe gebeten.
Der gestürzte Präsident Kurmanbek Bakijew hat in Südkirgisistan starken Rückhalt. Anhänger des im April ins Exil gestürzten Ex-Präsidenten sollen nach Otunbajewas Worten die Unruhen organisiert haben, um eine für den 27. Juni geplante Volksabstimmung zu torpedieren. Diese soll eine neue Verfassung mit mehr Demokratie bestätigen.