Rund 18 Monate nachdem ein auch für chinesische Verhältnisse unerhört großer politischer Skandal an die Öffentlichkeit kam, wurde am Donnerstagmorgen (22.08., Ortszeit) vor dem Mittleren Volksgericht von Jinan der Prozess gegen Bo Xilai eröffnet. Bo, der zuletzt Parteichef der KP Chinas in der Stadt Chongqing war, ist der Sohn eines Veteranen der chinesischen Revolution und galt auch als Mitglied des Zentralkomitees der KP als aussichtsreicher Kanditat für ein hohes Amt bei den Wahlen auf dem Kongress der KP Chinas im Oktober 2012. Bos Auftreten war dem eines westlichen Politikers sehr ähnlich, was ihn aus Masse der chinesischen Politiker heraushob und ihn gleichzeitig auch sehr beliebt machte, seine Politik hingegen war sehr streng auf Recht und Ordnung ausgelegt und ideologisch neo-maoistisch ausgerichtet; sie sorgte für große Unruhe unter den politischen Modernisierern Chinas.
Im Februar 2012 floh dann der damalige Polizeichef von Chongqing Wang Lijun in das US-Konsulat in Chengdu. Er fürchtete um sein Leben, suchte Asyl in den USA und ließ Vorwürfe laut werden, die Bo als "Mafiaboss" darstellten. Wang, der das Konsulat nach ein paar Tagen freiwillig verließ, ist inzwischen wegen Fahnenflucht, Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Wangs gravierendster Vorwurf war die direkte Verstrickung Bos in den Tod des britischen Geschäftsmannes Neil Heywood. Der eigentlich bereits abgeschlossene Fall wurde neu aufgerollt und auch Bos Verhalten offiziell untersucht. Wegen des, wie sich in der neuen Untersuchung herausstellte, Mordes an Heywood wurde aber nur Bos Ehefrau Gu Kaila und ein Angestellter im letzten Jahr vor Gericht gestellt. Das Gericht verhängte gegen Gu die Todesstrafe auf Bewährung. Bo verlor zunächst seinen Posten als Parteichef in Chongqing sowie im Politbüro, wurde dann im November letzten Jahres endgültig aus der KP ausgeschlossen und im Juli dieses Jahres wurde Anklage gegen ihn erhoben.
Bo muss sich vor dem Volksgericht von Jinan wegen Korruption, Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch verantworten. Der Prozess ist öffentlich und neben rund 90 Zuschauern sind auch 19 allerdings allein chinesische Journalisten im Gericht anwesend. Der Ort des Prozesses, fern von Bos früherer Machtbasis und gleichzeitig nicht etwa in der Hauptstadt Beijing, soll die Neutralität der Justiz signalisieren. Auf Weibo, dem chinesischen Twittersystem, werden Nachrichten über den Verlauf der Verhandlung laufend an die Öffentlichkeit gebracht. Man ist sehr darum bemüht, dies nicht als politischen (Schau-)Prozess erscheinen zu lassen, in dem "rechte" Modernisierer mit einem "linken" Reaktionär abrechnen, obwohl die Berichterstattung fraglos streng kontrolliert und entsprechend ausgerichtet ist.
Bo ist angeklagt für einen Vorgang rund 21 Millionen RMB (etwa 2,5 Millionen Euro) an Bestechungsgeldern angenommen zu haben. Die Summe wird von westlichen Beobachtern als sehr gering angesetzt eingeschätzt und chinesische Beobachter bezweifeln, dass dies ein Einzelfall ist. Der Anklagegrund soll einerseits groß genug erscheinen, um glaubhaft zu machen, dass dieser Prozess im Rahmen der augenblicklichen Antikorruptionskampagne der KP von Bedeutung ist, andererseits möchte man aber nicht zu viel Licht auf die Schattenseiten der Macht werfen. Die offizielle Parteizeitung der KP Chinas People's Daily ist ganz darum bemüht, von eventuellen politischen Fragen des Prozesses abzulenken und den Fall als nur einen von vielen Korruptionsfällen, die aufgedeckt wurden, darzustellen. In der Zeitung wird in einem zeitgleich mit den Berichten zum Prozess erschienen Artikel betont, dass es oft lange dauere, bis entsprechende Fälle, wie der von Bo Xilai, auf den ebenfalls Bezug genommen wird, entdeckt würden und vor Gericht kämen. Die Entmachtung Bo Xilais im letzten Jahr soll also nicht als Machtkampf vor dem wichtigen Parteitag im letzten Jahr verstanden werden, deutet die People's Daily damit an. Der Mord an Neil Heywood spielt in dem Verfahren gegen Bo nur noch am Rande eine Rolle und wird unter dem Anklagepunkt des Amtsmissbrauches erfasst. Bo soll geholfen haben die Tat zu vertuschen. Für alle Anklagepunkte insgesamt droht Bo eine Haftstrafe zwischen 15 Jahren und lebenslänglich. Westliche Beobachter gehen dabei davon aus, dass das Urteil in dem auf zwei Tage angesetzten Prozess jedoch bereits feststeht und die Verhandlung eine reine Formalität ist.
Bos Sohn Bo Guagua, dessen Erziehung in der britischen Eliteschule Harrow und Studium an den Eliteuniversitäten von Oxford und Harvard im Laufe des letzten Jahres für Aufsehen sorgte, beteuerte aus den USA, wo er seit dem Beginn des Skandals lebt, dass sich in dem Prozess die Unschuld seines Vaters herausstellen werde. Auch in der chinesischen Öffentlichkeit werden vorsichtige Kritik und Zweifel an diesem Prozess, seiner Reichweite und seiner Ernsthaftigkeit laut, denn Bo hatte eine sehr einflussreiche Stellung, und wenn er in den Augen der Öffentlichkeit nicht seiner Anklage angemessen vor Gericht behandelt wird, so wirft dies einen Schatten auf die gesamte Führung. Offene und direkte Kritik an dem Verfahren ist jedoch von der chinesischen Zensur unterbunden. Es melden sich aber auch noch Menschen zu Wort, die "dunkle und böse Mächte innerhalb der Partei [KP Chinas]" sehen, die Bo "bekämpfen", und die Bos Politik loben und ihn für einen guten Parteikader halten.
Bo Xilai selbst hat in dem Prozess nun ausgesagt, er habe keine Bestechungsgelder angenommen, dies habe er unter Druck und "gegen seinen Willen" in den Verhören zugegeben. Bo verneinte dabei vor Gericht nicht die von der Anklage angeführten Vorgängen in Dalian, wo er vor seiner Tätigkeit in Chongqing eine Zeit lang Bürgermeister war. Er selbst sei dort für zwei Geschäftsleute tätig gewesen, aber er habe dies ganz allein nach den geltenden Regeln getan, betonte er. Bo verteidigte sich energisch gegen die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Bestechungsanklage und griff dabei auch die beiden beteiligten Geschäftsleute, deren Aussagen dem Gericht schriftlich vorliegen, an. Bo nannte die Aussagen eine "Beleidigung" des Gerichtes, die allein mit dem Hinblick auf eine Belohnung gemacht worden wären. Auch die Aussagen seiner Frau, die ebenfalls schriftlich vorliegen, stellte er in Frage, er nannte ihre Angaben lächerlich und seine Anwälte bezweifelten ihre geistige Zurechnungsfähigkeit.
Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.