Mit 60 Pferdestärken quer durch Ghana
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Trotros, das sind – meist europäische – Kleinbusse, mit denen man sich auf Ghanas Straßen fortbewegt. Sie fahren los, wenn sie voll sind – das heißt restlos voll! – und hal-ten nur, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Vierzigtausend Cedis, vier Euro, für eine siebeneinhalbstündige Fahrt mit 20 Leuten, 2 Ziegen, 8 Hühnern und einer Menge Erfahrungen… |
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© LUISE SAMMANN |
Die Welt auf dem Kopf: Eier- und Brotverkäuferinnen in Cape Coast
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| | "Malermeister Schneider" steht in gut lesbarer blauer Schrift auf dem ehemals weißen VW-Bus. "Wir streichen ihre Wände – schnell, gut und günstig!" Ob Malermeister Schneider wohl weiß, dass sein ausrangierter Firmenwagen jetzt als Trotro durch Ghana fährt? Westafrika – das ist sozusagen die Müllkippe Europas. Was bei uns nicht mehr durch den TÜV kommt, ist dort oft noch ein kleines Vermögen wert. Alte Kühlschränke, abgefahre-ne Autoreifen, kaputte Fernseher… und eben Kleinbusse! Der von Malermeister Schneider ist eigentlich für 12 Personen gedacht. Allein in der Reihe hinter mir sitzen jetzt schon fünf! Bei vier Reihen würden wir so also am Ende auf 20 kommen. Nicht zu vergessen die Hühner un-ter den Sitzen und die Ziegen auf dem Dach. - Willkommen in Ghana!
Froh, einen Fensterplatz ergattert zu haben, schaue ich gebannt auf das bunte Marktgewusel um mich herum. Dass ich schon jetzt wieder an dem braunen Plastiksitz unter mir festklebe, merke ich kaum noch. Der März ist der heißeste Monat in Ghana. Es sind nur knapp unter 40°C und jeder klebt wo er geht und steht – oder eben sitzt. Von meinem Platz aus kann ich wunderbar in die vielen Messingschalen sehen, die auf den Köpfen von Frauen und Kindern an mir vorbeilaufen. Bergeweise Kekse, Brot und Eier aber auch Unterwäsche, Zahnbürsten und Seife stapeln sich darin. Einige sind so voll beladen, dass die Verkäufer sie ohne fremde Hilfe nicht anheben können. Sind sie dann aber erstmal auf dem Kopf, werden sie durch jedes Gedränge hindurch balanciert, wobei sich die Stirn unter dem enormen Gewicht in dicke Fal-ten legt.
Mama Africa
Eine auffällig große und vor allem breite, ja fast quadratische Frau, eingewickelt in bunte af-rikanische Stoffe, schiebt sich durch das Gedränge. Vorbei an einer Gruppe dünner etwa 10jähriger Mädchen, die – manche schlafend – hinter ihren am Boden aufgetürmten Altklei-derbergen sitzen. Ich muss an das Lied "Mama Africa" von Peter Tosh denken, als mir auf einmal etwas klar wird. Etwas sehr beunruhigendes! Und da kommt sie auch schon…
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© LUISE SAMMANN |
Ghanaische Dörfer: Einfach aber einladend
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Die Frau mit den freundlich blitzenden Augen und dem beeindruckenden Doppelkinn unter dem kugelrunden Gesicht steuert direkt auf unseren kleinen Bus zu. Besorgt drehe ich mich noch einmal um. War die Reihe hinter mir wirklich schon voll? Aber es ist schon zu spät für Umsetzmanöver. Schnaufend erklimmt sie die Stufe zum Einstieg und zwängt sich - vorbei an der leeren Reihe vor mir – direkt bis zu mir durch. "Oooobruni!" ruft sie begeistert und lässt sich in den schmalen Spalt zwischen mir und meinem Sitznachbarn plumpsen. Obruni bedeu-tet Weißer und wird einem in Ghana an jeder Ecke – ob von jungen oder alten Menschen – entgegen gerufen. Mit einem einfachen "Bebini" (Schwarzer) als Antwort könnte ich jetzt eigentlich schnell eine Menge Sympathiepunkte einheimsen. Doch mir kommt einfach nicht mehr als ein gepresstes Lächeln über die Lippen.
Eingeklemmt zwischen dem Fenster und Mama Africa denke ich an die vor mir liegenden siebeneinhalb Stunden Fahrt. Ich hatte es ja so gewollt als ich vor fünf Wochen in Frankfurt aus dem komfortablen deutschen Linienbus ins Flugzeug gestiegen war…
"Save Journey!"
Eine halbe Stunde später ist auch der letzte "Platz" endlich besetzt und es kann losgehen. Die beiden Ziegen auf dem Dach über mir meckern noch empört vor sich hin als der Fahrer den Motor startet. Mir läuft inzwischen der Schweiß übers Gesicht und ich bin froh als sich Ma-lermeister Schneiders VW-Bus endlich in Bewegung setzt und ich den ersten Fahrtwind auf der Haut spüre.
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© LUISE SAMMANN |
Einer geht noch! Wie viele Menschen passen in einen Kleinbus?
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Plötzlich dreht sich ein Mann in der ersten Reihe um, erhebt sich halb und fängt an uns alle mit irgendwie aggressivem Gesichtsausdruck anzuschreien. Da er nichts in der erhobenen Hand hält, gehe ich davon aus, dass es sich diesmal nicht um Wunderpillen gegen Aids oder sonstige Krankheiten handelt. Erst als Mama Africa mir ins Ohr zischt "Obruni, close your eyes!", verstehe ich. Der Mann betet – für eine gute und vor allem sichere Fahrt. Ich würde lieber den Fahrer bitten, nicht allzu halsbrecherisch über die oft unasphaltierten Straßen zu rasen. Und den Bus von Malermeister Schneider würde ich bitten, doch wenigstens noch heu-te durchzuhalten. Aber ich füge mich und schließe meine Augen…
Blöde Ziege…
Als ich wieder aufwache ist eine gute halbe Stunde vergangen. Draußen zieht der teils noch grüne, meist aber völlig ausgedörrte westafrikanische Busch vorbei - und mir tut jetzt schon alles weh. Mama Africa sitzt nach vorne gelehnt, die mächtigen runden Arme auf die Rücken-lehnen der Vorderreihe gestützt und ist Kekse. Würde sie irgendwann auf den Gedanken kom-men sich nach hinten zu lehnen, müssten wir alle das Gegenteil tun.
Das Stück asphaltierte Straße, welches uns aus der Stadt hinausgeführt hat, hat sich inzwi-schen in eine rote, sandige Huckelpiste verwandelt, über die wir mit ungebremster Geschwin-digkeit dahinholpern. Durchs Fenster sehe ich jetzt hin und wieder ein kleines Lehmhütten-dorf vorbeiziehen. Dann wieder kilometerweit nichts. Kinder mit Eimern auf den Köpfen wandern am Straßenrand entlang – unterwegs zur nächsten Wasserstelle.
Mama Africa schreit auf einmal entsetzt auf. Jemand ruft dem Fahrer zu anzuhalten. Direkt hinter dem Seitenfenster der Reihe vor mir baumelt, aufgehängt an einem Seil, eine Ziege! Ich weiß plötzlich nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll. Der Mann, direkt vor mir schließt mit einem Ruck das Fenster, an dem fast im gleichen Augenblick ein gelbes Rinnsal hinunter-läuft... Sie lebt! 20 Reisende atmen erleichtert auf, während der Fahrer das Tier zurück aufs Dach hievt und neu befestigt. Die Fahrt kann weitergehen, kein Grund zur Aufregung!
Die meisten meiner Mitfahrer schlafen bald wieder fest oder dösen zumindest ergeben vor sich hin. Je weiter wir nach Norden kommen, desto trockener wird die vorbeiziehende Land-schaft. Die Sonne steht jetzt an ihrem höchsten Punkt und brennt erbarmungslos auf uns und alles um uns herum nieder. Und das, während es in Deutschland nicht aufhören will zu schneien.
Prominenter Gegenverkehr
Wieder schreit jemand auf. Diesmal ist es der Fahrer selbst. Mit einer Vollbremsung kommen wir am Straßenrand zum Stehen. Alle sind plötzlich wieder hellwach! In Schlangenlinien über die eigene und unsere Fahrbahn, kommt uns ein Motorrad entgegen. Dann noch eins und noch eins. Dahinter – ebenfalls beide Spuren beanspruchend – eine Reihe schwarzer Jeeps mit ver-dunkelten Scheiben. Ganz am Schluss der Reihe folgt ein Krankenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht. Als auch er vorbei ist, drehen sich alle wie auf Kommando um und blicken der Ka-rawane fasziniert und irgendwie andächtig hinterher.
Dass wir es nur dem Reaktionsvermögen unseres Fahrers zu verdanken haben einer Massen-karambolage entgangen zu sein, scheint nur mich zu interessieren. Wie schon nach dem Zie-genzwischenfall, bricht auch jetzt wieder wildes Durcheinander aus. Ich verstehe natürlich kein Wort, aber irgendwie scheinen alle schwer begeistert zu sein von etwas, was ich verpasst haben muss. Mama Africas Augen leuchten und ich befürchte schon, dass sie mich vor lauter Glück an ihre riesige Brust drücken will, als sie mir zuruft: "Ghana, Ghana! President! Presi-dent of Ghana!". Ich versuche, mir Frau Merkel vorzustellen, wie sie – begleitet von einer Motorradeskorte und einem Krankenwagen – mit 200kmh und in Schlangenlinien durch `ihr´ Land fährt. Und jetzt kann auch ich lachen.
Die restlichen viereinhalb Stunden der Fahrt verlaufen relativ ruhig. Das Mädchen hinter mir hat scheinbar Gefallen an meinen blonden Haaren gefunden und angefangen, sie in kleine Zöpfchen einzuflechten. Was mich am Anfang irritiert hatte, fängt an, mich in einen ange-nehmen Dämmerzustand zu versetzen, der mich die Schmerzen in Rücken, Hintern und Bei-nen fast vergessen lässt. Wie langweilig Bus fahren in Deutschland doch ist!
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Kommentare über UnterwegsMeike am 26.04.2006: Der Text ist wirklich sehr lebendig geschrieben und man fühlt sich sofort zurückversetzt in ein Tro-Tro. Vor allem wenn man so eine Fahrt schon mitgemacht hat. Nur das die Ziegen bei uns unterm Sitz verstaut waren :)
Hannah am 23.04.2006: Ach, ich bin schon ganz neidisch.sehr lebendiger Text!Ob es in Namibia auch so lustige Trotros gibt?
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