C6 MAGAZIN
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MENSCHEN 17.12.2005

„Ich bin frei wie ein Vogel!“

Deutschland hatte im Jahr 2005 rund 860.000 Obdachlose zu verzeichnen, die jedoch in keiner Bundesstatistik erfasst werden. Sie haben keinen festen Wohnsitz und überleben dank der Großzügigkeit fremder Menschen, die ihnen Geld oder Lebensmittel geben. Viele stecken dieses Geld in Drogen oder Alkohol – nicht so der 24-jährige Benny, der seit eineinhalb Jahren auf der Straße lebt.
Benny und sein Hund Brokkoli. Dieser und sein zweiter Hund Kawumm haben die meiste Bedeutung für den Obdachlosen
© KARSTEN J. KLEE
Benny und sein Hund Brokkoli. Dieser und sein zweiter Hund Kawumm haben die meiste Bedeutung für den Obdachlosen
Vor dieser Zeit lebte Benny noch in seiner Mietwohnung. Morgens stand er auf, verkaufte einige Stunden eine Straßenzeitung und ging wieder heim. Den Rest des Tages verbrachte er vor dem Fernseher oder Computer. "Die Routine hat mich angekotzt! Ich will nicht mit 80 sagen müssen, dass ich 45 Jahre im selben Betrieb gearbeitet und sonst nichts erlebt habe."

"Ich liebe das Leben!"

Seit eineinhalb Jahren ist eine kleine Gartenhütte ohne Strom und Wasser sein zu Hause. Dort hat er das Nötigste – viel braucht er nicht. "Früher habe ich für Geld gearbeitet, heute arbeite ich für Essen. Es fehlt mir fast nie an etwas." Die wichtigsten Dinge sind für ihn seine Freiheit und seine Hunde. "Wenn’s mich wegzieht geh ich einfach! In meine Hütte kann ich immer wieder zurück. Ich liebe das Leben!" Duschen und waschen kann er in einer Teestube, ebenfalls erhält er dort für weniger als zwei Euro eine warme Mahlzeit.

Aufgewachsen ist Benny in Holland. Seine vier Schwestern und er wurden zweisprachig aufgezogen, da seine Mutter aus Deutschland kommt. Seit seinem zehnten Lebensjahr lebte Benny in Internaten. Nachdem er im Alter von 15 rausgeworfen wurde, ging er nach Deutschland zu seiner Großmutter. Als er seine eigene Wohnung bezog, war er bereits Sozialhilfeempfänger. Mit der Miete war er im Rückstand, durch die Umstellung auf Hartz IV wurde sein Geld sechs Wochen zu spät überwiesen. "Ich habe nicht bemerkt, dass das Geld noch nicht da war. Auf einmal kam per Post eine fristlose Kündigung – das war ein echter Schock für mich!"

Afrika entdecken

2006 begleitet er einen Bekannten nach Afrika um dort für diesen neue Ware zu erwerben. "Wir fahren mit dem Laster über die Türkei nach Afrika, es wird ungefähr drei Wochen dauern bis wir ankommen." Die Verpflegung wird ihm gezahlt, ansonsten kommen keine weiteren Kosten auf ihn zu. "Ich bin halt da um zu helfen wo etwas anfällt. Außerdem ist es zu zweit angenehmer lange Strecken zu fahren."

Stets dekoriert er alles um die Bitte nach einer Spende. Die Menschen geben laut Benny lieber Geld, wenn alles ordentlich aussieht
© KARSTEN J. KLEE
Stets dekoriert er alles um die Bitte nach einer Spende. Die Menschen geben laut Benny lieber Geld, wenn alles ordentlich aussieht
Der einzige Haken an dieser Fahrt ist der Reisepass. Fast 90 Euro hat Benny dieser gekostet – eine große Belastung für ihn: "Ich muss jeden Tag elf Euro für den Bus zahlen. Essen wollen meine Hunde und ich dann auch noch etwas. Aber dafür sehe ich was von der Welt. Es tut sehr weh so viel Geld auf einmal zahlen zu müssen, aber ich bin mir sicher, dass es sich lohnen wird. Ich freue mich sehr auf die Zeit!"

Alufolie am Christbaum

Das Leben auf der Straße ist für Benny ein 400-Euro-Job. Mindestens. Davon ernährt er sich und seine zwei Hunde Brokkoli und Kawumm. "Machbar. Man muss halt an guten Tagen etwas zurücklegen, falls danach ein schlechter folgt. Dafür habe ich meine Freiheit."

Benny ist überzeugt, dass es überall auf der Welt legale Möglichkeiten gibt an Geld zu kommen. "Man muss nur kreativ sein. Wenn die Leute darauf stehen, bastele ich ihnen auch Postkarten!" Seine Kreativität hat er bereits bewiesen: an seinem selbst gefällten Weihnachtsbaum hängen in Alufolie gewickelte Nüsse als Schmuck.

Wohin es ihn nach der Zeit in Afrika führt, weiß Benny erst nach seiner Rückkehr von dort. "Ich bin ungebunden – frei wie ein Vogel!" Nur für eine Frau und Kinder würde er diese Freiheit aufgeben, da er sich beides sehr wünscht. Und dass ihm dieser Wunsch eines Tages erfüllt wird, davon ist er überzeugt…
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Artikel vom 17. Dezember 2005

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