C6 MAGAZIN
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RELIGION 24.8.2005

Ich war heute in der Kirche - mitten im Juni

Während ich die in mein Hirn gebrannten Worte spreche, wird mir auch bewusst, dass die Worte ziemlich glanz- und sinnlos hineingebrannt sind.
Das Fenster einer Kirche
© PHOTOCASE.DE
Das Fenster einer Kirche
Ich war heute in der Kirche. Zu einem Sonntagsgottesdienst. Sehr ungewohnt für mich, denn sonst bin ich eigentlich nur an Weihnachten und zu Hochzeiten dort. Ich wohne hier nun schon seit einem Jahr und seit einem Jahr habe ich mir auch vorgenommen, in der Kirche ums Eck einen Gottesdienst zu besuchen. Vor ein paar Monaten habe ich sie mir wenigstens schon mal von innen angeschaut, wo ich doch fast täglich an ihr vorbeilaufe und sie von meinem Balkon aus sehen kann. Sie ist schon fast zu einem Teil von mir geworden. Wie viele verschiedene Lichtspiele ich schon auf ihren Türmen und bunten Glasfenstern gesehen und fotografiert habe… Und dann kam Mitte der Woche ein Brief von "meiner" Kirche. Ich wurde eingeladen zum Begrüßungsgottesdienst, der einmal im Jahr für die neu Zugezogenen stattfindet. Das ist ja mal nett, dachte ich. Und gleichzeitig: Mensch, jetzt brauchste auch noch ne extra Einladung…

Umgeben von großen Bäumen stehe ich nun also vor der Kirche, die sich mitten im Stadtzentrum auf einer Inselkreuzung befindet. Ich gehe durch die Eingangstür und lasse schlagartig den ganzen Alltagslärm hinter mir. Die Kühle und Stille in der Kirche umhüllen mich direkt und geben mir ein Gefühl der Entspannung. Trotzdem bin ich etwas nervös, denn außer mir sitzt noch genau eine Frau in der Kirche. Na hoffentlich bleibt das nicht so. Gut, ich war eine Viertelstunde zu früh, aber man kennt das doch von Weihnachten, da muss man auch schon drei Tage vorher Plätze reservieren! Ich setze mich also etwa in die Mitte der Bänke, die allesamt in einem Halbkreis zum Altar zeigen.

Der Chor übt noch fleißig auf der Empore und nach und nach kommen vereinzelt ein paar Leute herein. Ein Pärchen läuft an mir vorbei, sucht sich einen Platz, bleibt kurz andächtig stehen und setzt sich dann hin. Ich denke mir, sicher auch Zugezogene, die sonst nie in die Kirche gehen. Oder aber – und ich finde mich sehr clever dabei – ein verlobtes Pärchen, welches pflichtbewusst jeden zweiten Gottesdienst besucht. Irgendwann rufe ich mich dann selbst zur Ruhe, um nicht bei jedem Neuankömmling neugierig aufzuschauen und ihm hinterher zu starren, als wäre ich im Kino. In der Zwischenzeit sitzt mit etwas Abstand neben mir ein junger Mann, der sich davon nämlich überhaupt nicht stören lässt. Schließlich, um fünf vor zehn, kommen auch die Familienangehörigen des Taufkindes, das heute in die Gemeinde aufgenommen wird und kurz drauf ist dann die Kirche auch von anderen Besuchern relativ gefüllt.

Die Stimme des Pfarrers hat einen klaren und deutlichen Klang, er setzt sie weder einschläfernd noch aufdringlich ein. Er beginnt mit ein paar einstimmenden Sätzen, in denen er das Thema des Gottesdienstes erklärt. Was die evangelische Kirche zu geben hat. Im Vergleich zu der Katholischen, weil, erklärt er, es hätte sich ein katholischer Vater eines Konfirmanden beschwert, er habe sich nicht aufgehoben gefühlt, in diesem evangelischen Gottesdienst. So hat er sich gefragt, was suchen bzw. finden wir in der evangelischen Kirche eigentlich? Denn unsere Anwesenheit sei ja schon Anlass genug, anzunehmen, dass wir auf der Suche seien. Ein anschließendes Orgelstück lässt meine Gedanken kurzzeitig abschweifen. Ich denke über meinen Großonkel nach, der hier in dieser Kirche Küster war, an den ich mich aber nicht erinnern kann. Auch an meine Oma muss ich denken, die vor Jahren leider viel zu früh gestorben ist. Wieder einmal wird mir klar, wie schnell und gnadenlos die Zeit ist. Ich blinzele aufkommende Tränen weg und konzentriere mich wieder auf die Gemeindemitglieder.

Nach einem Lied, das ich nach der zweiten Strophe mehr oder weniger mitsingen kann, stehen wir alle auf und bekennen uns zu unserem Glauben in Form des Glaubensbekenntnisses. Es ist schon erstaunlich, was nach so vielen Jahren trotz allem noch hängen geblieben ist. Während ich die in mein Hirn gebrannten Worte spreche, wird mir aber auch bewusst, dass die Worte ziemlich glanz- und sinnlos hineingebrannt sind, völlig ohne Leidenschaft.

Dann kommt die Sprache auf den Neuzuwachs und der Pfarrer richtet seine Bitte an den Herrn, ihn willkommen zu heißen. In der Stille, die dann kurz folgt, ist alle Aufmerksamkeit auf das Kleine gerichtet. So viele Gedankenströmungen sind für den Kleinen wohl auch zu viel, er quäkt mitten in die Stille hinein. Schon wieder muss ich blinzeln (wie kann man nur so nah am Wasser gebaut sein, das ist doch sonst nicht so!).

Die Predigt ist irgendwie greifbar. Man kann ihr gut folgen, ich schweife nicht ab, wie bei anderen Pfarrern und langweilen tue ich mich auch nicht. Er spricht davon, Gottes Wort zu rühmen und nicht zu fürchten (ganz genau!) und regt gleichzeitig an, nach Gründen für die Hoffnung zu suchen. Das wäre natürlich nicht ganz so bequem, manche machen ja seit neustem lieber Yoga (hallo? meint der mich?) oder ähnliches. Die Gesellschaft würde sich immer rühmen als ein Zeitalter der Information, wir könnten in sekundenschnelle meilenweit telefonieren, aber ohne Inhalt (ja, das kommt mir bekannt vor). Wir stopfen uns voll mit den Medien, nur damit wir keine Zeit haben, über uns selbst nachzudenken... Seine Worte hallen noch in meinem Kopf nach, als der Chor auf der Empore bereits zu singen anfängt. Es hört sich himmlisch an. Die hellen Stimmen schwingen von einer Ecke des Gewölbes in die andere. Erquicke mich mit deinem Licht!, singen sie. Und genau das – dieses Licht – gibt es doch im Buddhismus auch. Das göttliche Licht, es scheint überall zu sein, nur sieht es jeder anders, und jeder gibt es anders weiter. Aber im Grunde ist es immer ein und dasselbe.

Bei dem anschließenden Empfang mit Kaffee und Kuchen komme ich dann mit einigen ins Gespräch. Mit zwei älteren Damen, einem neu Zugezogenen, einer Frau aus dem Chor, sogar mit dem Pfarrer selbst, der, wie ich feststelle, sehr gerne lacht. Unter anderem aber auch mit dem vermeintlich verlobten Pärchen, was bereits verheiratet ist und, wie ich auch noch herausfinde, regelmäßig einen Gesprächskreis besucht (Reschpekt!!). Unter anderem mit Themen wie "getaufte Moslems" (Hilfe, so weit bin ich noch nicht). Tja, so kann man sich täuschen…

Als ich anschließend wieder aus der Kirche mitten hinein in die grelle heiße Sonne trete und damit mitten rein in den Alltag, bin ich froh dort gewesen zu sein. Ich merke, dass ich den Alltag tatsächlich komplett für zwei Stunden hinter mir gelassen habe. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich das, was ich suche, wirklich in einem Gottesdienst finden kann. In der kühlen Stille der Kirche finde ich aber eine wunderbare Entspannung und Auszeit. Vielleicht brauche ich auch genau diese meditative Stille, um mir über so manches klar zu werden. Zu wenig im christlichen Glauben habe ich bisher hinterfragt, mir viel zu wenig Gedanken gemacht, ob diese Religion in mein Leben passt. Alles, was mir früher beigebracht wurde, nahm ich einfach hin. Vielleicht ist die Zeit gekommen, endlich mal "Licht ins Dunkle" zu bringen…
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Artikel vom 24. August 2005

Kommentare über Religion

Anna Bolika am 26.08.2005:
Ist das ein süßer Bericht,so gefühlvoll.
Und gestern -der Bericht über die Zeugen Jehovas ,so ganz anders.eventuell nur weil es eine Minderheit ist.Oder müsst Ihr den großen beiden Kirchen schön tun.
Journalismus ändert sich nicht.
Wie hättet Ihr 1943 über eine Synagoge geschrieben??


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