C6 MAGAZIN
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RELIGION 20.8.2005

Wir sind Papst!

Der Papst als Pop(e)star zwischen Begrüßungs-Laola-Wellen und Bravo XXL-Postern, der Papst als mediales Großereignis. Aber sind wir eigentlich wirklich so religiös, wie es in den Medien aussieht?
Papst Benedikt XVI. spricht den Segen "Urbi et Orbi" aus
© MANFRED RICHTER (PUBLIC DOMAIN)
Papst Benedikt XVI. spricht den Segen "Urbi et Orbi" aus
Verdammt. Das hätte so einfach sein können. Einen kritischen Text zum Thema Religion schreiben, so Gedanken hatte man sich ja eh schon gemacht, also kein Thema, denkt man. Außerdem ist man ohnehin ein wenig genervt, da das heimatliche Rheinland zu der Zeit, in der dieser Text entsteht, eine Christianisierung nie für möglich gehaltenen Ausmaßes angenommen hat, denn seit April sind wir ja Papst und eben dieser kommt zu Besuch. Und dann der entscheidende Fehler des Autors: Im Fernsehen anschauen, wie der Papst in Köln landet. Er wirkt ja doch irgendwie ziemlich nett, wie er sich seine weiße Soutane aus dem Gesicht haltend über den roten Teppich schreitet und schüchtern und ein Bisschen peinlich berührt ob all der Laola-Wellen und "Beeeeenedettoooo"- Sprechchöre wirkt.

Aber Moment mal: "Beeeeenedettoooo"-Sprechchöre? Ist da ein Popstar im Rahmen seiner Welttour ins Rheinland gekommen und wird nun von seinen Fans frenetisch begrüßt? Man wirft einen Blick auf die aktuelle Ausgabe der "Bravo" und schon ist diese Frage nicht mehr so leicht zu beantworten. Dieser liegen nämlich 2 XXL-Poster bei, auf der einen Seite das gefühlte One-Hit-Wonder "US5" und auf der anderen Seite eben Benedikt XVI., The Cardinal Formerly Known as Joseph Ratzinger. Ein Mann der Jahrelang wirklich beinhart erzkonservative Ansichten vertreten hat. Da ist dann schon mal Homosexualität Sünde, Verhütung verboten und der Voreheliche Geschlechtsakt sowieso. Und von der Rolle der Frau in der katholischen Kirche wollen wir hier erst gar nicht anfangen. Wie schafft es dieser Mann wie ein Popstar von hunderttausenden Jugendlichen verehrt zu werden

"Hast du den Papst gesehen?"

Der gigantische Papstboom, der dieser Tage in Köln und in den Medien zu beobachten ist, zeigt eines ganz deutlich: Die Religion, zumindest die katholische wird zunehmend inhaltsleer. Die Besucher des Weltjugendtages werden, selbst wenn sie überzeugte Katholiken sind, nicht nach ihren spirituellen Erfahrungen im Rahmen des Weltjugendtages gefragt werden. Die erste Frage, wenn sie wieder zu Hause sind, wird sein: "Hast du den Papst gesehen?" Da ist es auch völlig egal, ob und was der Papst in seinen Ansprachen sagt, der bloße Anblick, möglichst fotografisch festgehalten, ist zunehmend das einzige was zählt. Das ist also eine Möglichkeit, wie Religion heute praktiziert wird: Inhaltsleer. Die Religion als Event, die Abschlussmesse als Massenhappening. Jetzt fehlt nur noch die "Kumpel Jesus" Figur aus dem Film "Dogma"…

Die katholische Kirche hat da naturgemäß nichts gegen, sieht es doch im Moment so aus, als wären Massen von Jugendlichen auch in Deutschland fest in ihrer Religion verwurzelt. Aber dieser Eindruck täuscht.Ein Großteil der jungen Menschen in Deutschland praktiziert vielmehr eine so genannte "Patchwork-Religion" - der einzelne ist zwar nicht Atheist, glaubt also an irgendetwas, aber bastelt sich seinen Glauben selbst zusammen. Das hat mit den klassischen Religionen nichts mehr zu tun. Aber warum, bitte schön, tun dann grad alle so, als wären wir ach so kirchlich religiös?

Religiös waren wir auf einmal alle, als Johannes Paul II. im Begriff war zu sterben. Auf wirklich ALLEN TV-Sendern konnte man live miterleben, wie der Tod des Papstes verkündet wurde. Natürlich konnte man es sich nicht nehmen lassen, auch davon zu berichten, wie Massen von Gläubigen ihm im Petersdom die letzte Ehre erwiesen. Oder das was sie dafür hielten, es ging hier vielen nämlich nicht darum, in stiller Kontemplation Abschied vom Oberhaupt ihrer geliebten Kirche zu nehmen, nein, der größte Teil des Besucherstroms war mindestens mit einem Fotohandy bewaffnet. Es galt auch hier in erster Linie noch ein Foto zu machen. Und natürlich fanden wir, glaubt man der Berichterstattung auch alle den verstorbenen Papst super und haben auf alles gehört, was er gesagt hat, weil er ja auch so modern war. Vorehelicher Geschlechtsverkehr, wer macht denn so was? Getoppt wurde dieser Wahnsinn eigentlich nur noch durch das Konklave. Man hat, glaube ich noch nie, so lange und so oft einen Kamin in Großaufnahme gesehen. Und dann, der Wahnsinn: WIR SIND PAPST! – so sah das zumindest die Bildzeitung.

Und trotzdem wir Papst sind: Wir sind immer weniger religiös. Für den Großteil von uns haben die Ansichten der Kirche immer weniger mit der jeweiligen tatsächlichen Lebenswelt gemein. Und selbst wenn es eine faszinierende Erfahrung sein kann, mit vielen anderen Menschen zusammen, einem Mann zuzujubeln, der inzwischen so viel mehr symbolisiert, als seine konservativen Ansichten, ändert das eigentlich, wenn wir ehrlich sind, gar nichts. Wir geben uns nur dem Reiz hin, den solche Massenevents haben können. Anstelle des Personenkults muss wieder eine echte und ernsthafte Auseinandersetzung mit den Inhalten der praktizierten Religion treten, und entweder entscheidet man sich dann dafür oder dagegen. Aber lasst uns bitte aufhören, so zu tun als ob.
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Artikel vom 20. August 2005

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