Mein persönlicher Weg zur WM
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Was für ein Moment, als Joseph „Sepp“ Blatter am 6. Juli 2000 in Zürich einen Zettel aus seinem Umschlag nimmt und sagt: “Deutschland.“ Endlich wieder eine WM in Deutschland. Eine einmalige Chance für den hiesigen Fußball und alle Fußballfans. Denn es wird nicht bei den 32 Jahren bleiben, die wir nach 1974 auf die nächste WM in Deutschland warten mussten. Jetzt, wo auch Japaner, Australier und Amerikaner hochklassigen Fußball spielen, wird es in etwa 70 Jahre dauern, bis die nächste WM in Deutschland stattfindet. |
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Gänsehautfeeling in den WM-Stadien
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| | Im gleichen Moment in dem mir das klar wird steht für mich fest: Ich brauche Karten, komme was da wolle. Vor meinem geistigen Auge formt sich ein Bild von mir selbst im Schaukelstuhl mit schneeweißen Haaren umgeben von drei kleinen Enkeln, die mich fragen: "Opa, wo warst du eigentlich damals, als die WM in Deutschland war?" und ich höre mich sagen: "Daheim vorm Fernseher, schließlich sieht man da ja das Spiel viel besser als im Stadion." Keine Heldengeschichte im Stile des Wunders von Bern, kein Gänsehautfeeling, wenn ich die Stimmung im Stadion und die großen Gefühle der Fans beschreibe. So weit darf es nicht kommen: Ich brauche Karten.
Die Kartenjagd
Die Fifa hat sich bei der Kartenvergabe ein System mit einem komplizierten Verteilungsschlüssel ausgedacht. Statt die Karten zu versteigern oder nach dem Windhundprinzip zu vergeben, werden sie hauptsächlich an Nationalverbände und Sponsoren vergeben. Nur ein Drittel der Tickets sind letztendlich durch den einzelnen Fan bestellbar. Davon lasse ich mich aber nicht bremsen, denn auch eine kleine Chance ist eine Chance und die Tickets werden schließlich nur über das Internetportal der Fifa vergeben, wäre doch gelacht, wenn ich da nicht schnell genug wäre. Das große Rennen beginnt am 1. Februar 2005 mit der Möglichkeit Teamtickets zu bestellen, die erlauben eine Mannschaft bis zum Finale zu begleiten. Leider sind die Qualifikationsspiele zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, so dass die Qualifikationschancen der circa 100 potenziellen Teilnehmerländer sehr unterschiedlich sind.
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Unzählige Nationen haben sich in den deutschen WM-Stadien versammelt um sich und die Mannschaften zu feiern
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Nach anderthalb Stunden in der Warteschleife des Internetportals, komme ich zum Zug. Die beliebtesten und sicher qualifizierten Länder sind bereits vergriffen, gleiches gilt für alle günstigen Tickets, denn schließlich gibt es da noch den Haken, dass man den Kaufbetrag der Tickets direkt überweisen muss, ohne zu wissen, ob die Mannschaft sich letztlich qualifizieren wird. Nach Durchsicht der Tabellen der afrikanischen Qualifikationsgruppen halte ich aber Südafrika für einen sicheren Tipp, da sie in der Gruppe gut stehen und noch gegen die Kapverden spiele, einem Land mit ähnlich vielen Einwohnern wie Luxemburg. Und genau für Südafrika sind noch Teamtickets bis hin zum Finale verfügbar. Ich bestelle also zwei Teamtickets Südafrika bis zum Viertelfinale. Die Buchung wird bestätigt und parallel werden 318 Euro von meinem Konto abgebucht. Jetzt heißt es praktisch nur noch warten und schon bald werde ich WM-Tickets bis ins Achtelfinale haben.
Ende 2005 spielen die letzten Qualifikationsgruppen um die begehrten Startplätze für die WM, parallel sorgen die hohen Bearbeitungsgebühren der Fifa für Ärger. Fast täglich lassen sich neue Details über die rege Reisetätigkeit des Bundestrainers lesen und das, obwohl es noch mehrere Monate bis zu WM sind. Der Medienrummel der kommenden WM wirft seine Schatten schon voraus. Menschen, die sich noch nie für afrikanischen Fußball interessiert haben, verfolgen gebannt die letzten Qualifikationsspiele der Afrikagruppen und bereiten sich wie ich geistig schon darauf vor Südafrika in Deutschland gebührend anzufeuern. Doch dann kam der Tag als für mich der südafrikanische Fußball starb. Meine Mannschaft verliert gegen die Kapverden und schafft auch gegen Angola keinen Sieg. Nun fährt Angola zur WM. Alles ist weg, meine Karten, die tolle Stimmung bei den Spielen und das Glitzern in den Augen meiner Enkel.
Hoffnungsschimmer im Dunkeln
Die Kartenvergabe der WM wird durch die Fifa in verschiedenen Runden organisiert, nach der Teamticketrunde gibt es weitere Runden zu einzelnen Spielen und Optionsprogramme für zurückgegebene Tickets. Nur ein Bruchteil der Tickets landete schließlich im Verkauf an den Stadionkassen. Nach dem bitteren Ausscheiden von Südafrika bekomme ich mein Geld abzüglich zehn Euro zurück und zusätzlich eine Mail mit der Aufforderung, mich für jenes Optionsticketprogramm einzutragen. Ich könne Tickets erwerben, die durch Sponsoren oder Nationalverbände zurückgegeben werden. Ich trage mich ins Programm ein und es glüht wieder ein kleiner Funke Hoffnung in mir. Ich kann mich für sieben Spiele meiner Wahl vormerken lassen. Ich entscheide mich für Spiele in Kaiserslautern und Stuttgart und tatsächlich bekomme ich wenige Wochen vor der WM die Nachricht, dass ich zwei Karten für das Spiel Paraguay gegen Trinidad & Tobago am 20. Juni 2006 in Kaiserslautern habe. Meine WM ist gerettet.
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Eine unvergessliche Erinnerung: einmal live bei einem WM-Spiel dabei sein
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Die Vorbereitungen für die WM überschatten schon Wochen vor dem eigentlichen Beginn den Deutschen Alltag, die Innenstädte aller WM-Städte und -Quartiere putzen sich heraus und so genannte "public viewing areas" schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Masse internationaler Fans will das Organisationskomitee vor allem durch einen gut koordinierten öffentlichen Nahverkehr ins Stadion bringen. Überwachen und Helfen sollen dabei 15.000 freiwillige Helfer, dazu Polizisten, Rettungskräfte und Ordnungsbeamte. Während des Turniers ist die WM in erster Linie eine enorme organisatorische Herausforderung für alle Beteiligten.
Für die Fahrt zum Stadion muss mit mehreren Stunden Wartezeit gerechnet werden. Ich mache mich in bester WM-Laune auf zu meinem persönlichen live-WM-Spiel. Die Anreise gestaltet sich Dank des öffentlichen Nahverkehrs und der Kuhherdentaktik, sich einfach immer zur größten Menschenmenge dazugesellen und mitlaufen, absolut problemlos. Die Innenstadt von Kaiserslautern ist eine einzige große Partymeile und mit der halben Einwohnerschaft der Karibik gefüllt. Nach einem karibischen Karnevalsumzug durch Kaiserslautern, finde ich noch in einer etwas versteckt gelegenen Bar ein Plätzchen direkt an der Theke von dem aus ich den Deutschen Sieg gegen Ecuador miterlebe. Der Tag entwickelt sich kurz gesagt bestens.
Anfeuern mit Tücken
Nach dem deutschen Sieg mache ich mich auf den Weg Richtung Stadion. Zum Spiel fehlt mir aber noch eins: ein T-Shirt und geeignetes Winkmaterial, um die "Trinis" anzufeuern, was sich aber ohne größere Schwierigkeiten in Kürze auf der Fanmeile beschaffen lässt. Nach Aufstieg auf den Betze folgen überraschend lasche Kontrollen. Wozu habe ich personalisierte Tickets und einen neuen Personalausweis, wenn die einzige Kontrolle darin besteht, mein Ticket gegen einen Automaten zu halten, der ein grünes Lämpchen zeigt, wenn mein Ticket den richtigen Chip hat?
Der Unterschied zwischen WM und EM ist fußballerisch als auch organisatorisch, dass viele Länder mitspielen, die nicht gerade bekannte Fußballnationen sind. Auf den ersten Blick senkt das die Qualität der Spiele, auf den zweiten stellt sich dann aber auch das Problem, dass diese Exotenländer oft keine Fantraditionen und genügend Anhänger haben, um die WM-Stadien in brodelnde Hexenkessel zu verwandeln. So ist das Stadion hauptsächlich mit Deutschen in rot-schwarzen Trinidad-Trikots gefüllt, die keine Ahnung haben, wie man die Trinis richtig anfeuert. Neben "Trinidad, ole ole ole" schallt auf die Melodie des 80er-Jahre Hits "Vamos a la playa" das umgetextete "Trinidad Tobago o ohoo o" durchs Stadion. Ich bejubele jede Ballberührung der so genannten Socca Warriors. Das Spiel selbst gestaltet sich recht langweilig und die professionelleren Spieler aus Paraguay bringen das Ganze recht locker zu einem klaren 2:0 Sieg nach Hause. Das von vielen erhoffte Fußballmärchen vom kleinen Inselstaat im Achtelfinale tritt nicht ein.
Bei einem normalen Fußballspiel gehen die Anhänger der Sieger feiern und die anderen gehen meist traurig und still nach Hause. Nicht so bei dieser WM. Die bunte Mischung aus Fans aller Nationen, die ich an diesem Abend getroffen habe, hat mir gezeigt, dass man auch eine Niederlage feiern kann. Schließlich ist eine WM eine Veranstaltung mit nur einem Sieger und dabei zu sein ist schon eine Ehre. Als einem Fan aus Trinidad von einem schottischen Fan sein Beileid zur Niederlage verkündet wurde antwortete dieser: "We go party anyway". Ein schönes Motto für die WM 2006.
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