Ein hässliches Foul beendet die Karriere eines Fußballers, der lebende Legende und wahrhaftiger Erlöser zugleich war. Unverständnis? Wer Antworten sucht, muss schon tiefer schürfen - ein Blick zurück auf den Fußballer Zinedine Zidane im Angesicht des Sündenfalls. |
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© GôTô (GFDL) |
Zinédine Zidane im Flughafen Paris-Roissy, Februar 2004
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| | Es sollte sein Finale werden: Frankreichs Fußballgott Zinedine Zidane hatte sich ein perfektes Szenario für einen würdigen Abgang von der Fußballbühne erdacht: Acht Jahre nach dem ersten Weltmeistertitel für Frankreich überhaupt erneut die Chance zum Gewinn der WM. Bis zur 110. Minute lief auch alles perfekt für die Franzosen und ihren begnadeten Spielmacher im Berliner Olympiastadion. "Zizou", die weiße Katze, war in dieser Verlängerung kurz davor, sich mit seinem zweiten Tor ein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen. Doch dann stellte sich der beste Mittelfeldspieler seiner Zeit selbst ins Abseits, indem er seinem Gegenspieler Materazzi mit einigen Metern Anlauf den Kopf brutal in den Brustkorb rammte. "Rot" besiegelt das vorzeitige Ende seiner Karriere, Frankreich verliert im Elfmeterschießen.
Die französischen Kommentatoren waren genauso fassungslos wie drei Milliarden Fernsehzuschauer auf der weiten Welt, als die entlarvende Zeitlupe die ganze Hässlichkeit der Aktion von Zidane freilegte: "Nein, nein, bitte nicht. Das darf nicht wahr sein, bitte nicht. Nicht nach so vielen Jahren, bitte Zizou", flehten sie vergeblich. Nach diesem brutalen Foul stellen sich zwei Fragen: Warum? Und zweitens: Wäre dieses Spiel anders ausgegangen, hätte Zidane nicht die Nerven verloren? Doch beide Fragen sind falsch gestellt.
Rohe Attacke mit hässlichem Vorsatz
Gerüchte über den Grund des Ausrasters von "Zizou", wie Zinedine Zidane von den Franzosen liebevoll genannt wird, kursieren zuhauf: Sein italienischer Gegenspieler habe Zidanes Schwester als Prostituierte bezeichnet. Auch das Wort "Terrorist" könne gegenüber dem Sohn algerischer Einwanderer gefallen sein, wird spekuliert. Schließlich heißt es, dass sich Materazzi zuvor unsittlich an Zidanes Brustwarze zu Schaffen gemacht habe – doch reicht das aus, um das Karriereende dieses Ballvirtuosen zehn Minuten vor der fußballerischen Unsterblichkeit in brutaler Gewalt untergehen zu lassen? Die Fernsehbilder zeigen eine rohe Attacke Zidanes, wie es sie seit langer Zeit im Profifußball nicht mehr gegeben hat. Die Weltöffentlichkeit ist deswegen so schockiert, weil der hässliche Vorsatz des Fouls nicht nur erkennbar war, sondern weil es dem Franzosen in diesem Moment augenscheinlich nur um Revanche ging. Der 2 Millionen teure Weltpokal, nur wenige Meter entfernt neben dem Spielfeld aufgestellt, war dem Sohn algerischer Einwanderer in diesem Moment instinkthafter Handlung nichts mehr wert. Warum? Ein Rückblick…
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© ACHIM BROß |
Marseille schenkt Zidane eine Hauswand
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Zidane, Jahrgang 1972, wächst auf in einer Stadt, in der man nicht mehr genau weiß, ob man sich noch in Europa aufhält oder schon in Afrika befindet: Marseille, ganz im Süden Frankreichs. In den Hinterhöfen von Castellane in den berüchtigten "quartiers nord" der Hafenstadt am Mittelmeer kämpft er wie viele seiner Altersgenossen um Anerkennung, indem er gegen den Ball tritt. Die Jugendlichen träumen davon, den ärmlichen Verhältnissen mithilfe des Fußballsports zu entkommen. Wer es von hier wegschafft, hat das Schlimmste bereits hinter sich – Kleinkriminalität, Drogen, Clans beherrschen die Straße.
Die WM macht Zidane zum Superstar
Doch Zidane ist am Ball außergewöhnlich begabt und merkt schnell, dass er es weit bringen kann. Verbissen feilt er in den dreckigen Hinterhöfen Marseilles an seiner Technik, seiner Beweglichkeit und den furiosen Täuschungen, die ihn später so einzigartig machen sollten. Da ist nur ein Problem: Seine Jähzornigkeit, diese Eigenschaft, die ihm bereits als Kind immer wieder Rote Karten beschert und auf dem Schulhof immer wieder zu Auseinandersetzungen führt. Seine Trainer erklären ihm, dass ihn auf dem Weg zum Profifußballer nur sein Temperament aufhalten kann. Doch der Traum "Profifußballer" ist stärker: Zidane arbeitet nicht nur an seiner Technik, sondern putzt auch demütig Kabinen und Duschen. Woran so viele scheitern wird für Zidane zum ersten Sieg seiner Karriere: Die Wutausbrüche werden weniger. Doch ganz verschwunden sind sie nicht.
Mit 16 Jahren spielt Zidane zum ersten Mal in der französischen Liga – der Beginn einer Weltkarriere. Nach dem Abstieg seines Vereins Cannes wechselt er 1992 von Cannes nach Bordeaux. Er verpasst nur knapp den UEFA-Cup Sieg im Finale gegen Bayern München und wechselt 4 Jahre später zu Juventus Turin. Längst ist er ein anerkannter Spielgestalter, der die Gegenspieler durch seine Drehungen und Wendungen zur Verzweiflung bringt. Zum Superstar wird er schließlich während der WM im eigenen Land: Nicht die Rote Karte nach einem Tritt auf einen am Boden liegenden Spieler im Achtelfinale bleibt in Erinnerung, nein: Zidane macht im Finale in Paris das Spiel seines Lebens und besiegt mit zwei Toren fast im Alleingang die als unbesiegbar geltenden Brasilianer.
Die "equipe tricolore" holt den goldenen Pokal und die "grande nation" huldigt ihrem Idol. Wie kein anderer verkörpert der Einwanderersohn nun den Prototyp des genialen Fußballers, der sich aus ärmlichen Verhältnissen an die Spitze der elitären französischen Gesellschaft geschossen hat. Die Medien bemächtigen sich des Phänomens "Zizou", der weißen Katze, wie sie ihn nun wegen seiner geschmeidigen Bewegungen im weißen Nationaltrikot nennen. Die Werbung verpasst dem Buben mit dem hässlichen Marseiller Akzent das Image des weißen Engels. Die große Politik huldigt dem fleischgewordenen Beweis der Leistungsfähigkeit eines in Wahrheit veralteten politischen Systems. Marseille, die Stadt der tausend Nationalitäten, schenkt Zidane die Herzen seiner Bewohner und eine Hauswand mit seinem überdimensionalen Antlitz dazu. "Zizou" hat das Unmögliche möglich gemacht und der französischen Republik durch einfache Fußballtricks ihren verloren geglaubten Sinn wiedergegeben. Eine große Bürde?
Vor der WM der Rücktritt vom Rücktritt
Zidane hat gelernt, als Fußballer erfolgreich zu sein. Nun macht er aber auch neben Staatspräsident Chirac eine gute Figur. Auch die höchste Ablösesumme aller Zeiten – über 70 Millionen bezahlt Real Madrid 2001 für seinen Wechsel zu den "Königlichen" – bringt ihm, der lebenden Legende, nicht den Unmut der Fans ein.
Nachdem er 2002 nach seinem Siegtor auch noch mit Real Madrid die Champions League gewinnt, hat "Zizou" alles gewonnen, was es im Weltfußball zu gewinnen gibt. Die Zeit des Abschieds kündigt sich langsam an: Seine Vereinsmannschaft, die "Galaktischen" aus Madrid, spielen zunehmend schlechter, und Frankreich scheidet bei der WM 2002 mit einem verletzten Zidane ohne Sieg und mit null Toren aus. Sollte das wirklich das Ende einer großen Karriere sein? "Zizou" tritt 2004 zurück. Doch die Nationalelf droht die WM-Qualifikation zu verpassen. Die Nation ruft, "Zizou" gehorcht und tritt vom Rücktritt zurück. Es gelingt dem alternden Star, die "equipe tricolore" zur WM zu führen, und noch mehr: Nach einer mäßigen Vorrunde der Sieg im Achtelfinale gegen Spanien durch ein Tor von "Zizou", der noch einmal zu alter Stärke gefunden zu haben scheint. Dann das Viertelfinale gegen Brasilien. Wieder die weiße Katze in Bestform, wie eh und je. Wieder ein Sieg. Die Nation im Freudentaumel. Der Elfmeter im Halbfinale gegen Spanien – "Zizou" schießt das Tor, natürlich.
Im Finale in Berlin war das Unmögliche für Zidane so nah. Dann die 110. Minute, das Foul. Der tiefe Fall, der Druck war wohl zu groß. Ob es wirklich zum zweiten Titel für "Zizou" und für Frankreich gereicht hätte, wenn Zidane nach einem Spiel voller Provokationen, Beleidigungen und versteckten Nickligkeiten seine Emotionen im Griff gehabt hätte? Es ist müßig darüber zu diskutieren, denn "Zizou" spielt nicht mehr. Er hat sich kurz vor Ende seiner Karriere dazu entschieden, als "Zidane" in die Geschichtsbücher einzugehen. Zinedine Yazid Zidane wird uns als toller Fußballer in Erinnerung bleiben, und als Mensch. Nicht als weiße Katze und auch nicht als Star. Das ist dann trotz allem beruhigend. Und deshalb gut so.
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