C6 MAGAZIN
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SEXUELLER MISSBRAUCH 18.10.2007

Sexueller Missbrauch durch den Stiefvater

Jessy* strahlt über das ganze Gesicht, als sie ihren einjährigen Sohn in den Armen hält. Erst vor kurzem ist sie zu ihrem Freund nach London gezogen, damit die kleine Familie endlich zusammen ist. Deutschland weint die 23-Jährige nicht nach, denn mit dem Umzug in ein neues Land lässt sie eine schreckliche Vergangenheit hinter sich. Jessy wurde zehn Jahre lang von ihrem Stiefvater Ralf* missbraucht.
Auch Jungen können Opfer des sexuellen Missbrauchs werden. Kinder sind laut dem deutschen Gesetz alle Menschen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben
© POLIZEILICHE KRIMINALPRäVENTION DER LäNDER UND DES BUNDES
Auch Jungen können Opfer des sexuellen Missbrauchs werden. Kinder sind laut dem deutschen Gesetz alle Menschen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben
Laut einer repräsentativen Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Sommer 2007, haben rund 58 Prozent aller befragten Frauen bereits eine Form der sexuellen Belästigung erlebt. Neun Prozent davon, gaben in diesem Zusammenhang auch eine körperliche Gewalttat oder den ungewollten Geschlechtsverkehr an. Laut der deutschen Polizei ist beim sexuellen Missbrauch in etwas drei Viertel der Fälle der Täter bekannt, beispielweise aus der Familie, wodurch die Straftat oft lange Zeit unentdeckt bleibt.

Jessys Stimme wird ernst: "Angefangen hat er als ich sieben war – bei einer Grillparty der Familie, während die anderen sich draußen amüsierten und ich im Wohnzimmer meine Lieblingssendung sah. Er legte sich zu mir und meinte, dass er nun, wo er mein Stiefvater sei, ja auch meinen Körper besser kennen sollte." Ralf zieht das verwirrte und ängstliche Kind aus und beginnt ihren Körper zu küssen. Sie muss seinen Penis anfassen und küssen: "Plötzlich kam mein Opa ins Zimmer", erinnert sie sich. "Das Schwein hat uns einfach schnell zugedeckt und niemand hat etwas bemerkt!"

Vergewaltigt hat Ralf Jessy nie, aber sie und ihre ältere Schwester hatten Tag für Tag Angst, dass es doch passieren könnte. Sie sagt, dass sie immer spürte, dass alles was er tat, verboten und nicht richtig war. Ihre Augen funkeln böse: "Einmal, als ich Hausaufgaben machen wollte kam er nackt aus der Dusche, stellte sich hinter mich und legte seinen Schwanz auf meine Schulter. Er zwang mich sitzen zu bleiben. Irgendwann ging er dann und holte sich im Flur einen runter." Letzteres macht Ralf besonders gerne: "Den ganzen Tag hat er gewichst! Unsere Mutter musste sehr lange arbeiten und immer wenn ich heim kam stand er woanders und hat es sich besorgt. Ständig lief er nackt rum – es war so ekelhaft!"

Flucht der Schwester

Als Jessy 15 ist, hört Ralf auf sie direkt zu belästigen und reduziert seine Handlungen auf die Selbstbefriedigung. In ihrer Abwesenheit onaniert er in ihrem Bett oder dem ihrer Schwester Manu*. Traurig erinnert sich Jessy: "Manu* war zu dem Zeitpunkt gerade 18 geworden. Hals über Kopf ist sie ausgezogen. Sie hat es nicht mehr ausgehalten und ich konnte sie verstehen." Besonders schlimm ist der Auszug für Jessy, weil beide seit Beginn des Missbrauchs immer in einem Bett geschlafen haben, in der Hoffnung, er ließe sie dann in Ruhe. "Das war auch so. Wenn wir zusammen waren hat er nichts gemacht. Ich weiß heute noch nicht, was das Schwein mit Manu gemacht hat – sie hat nie darüber gesprochen."

Kinder, die missbraucht werden, fühlen sich oft gefangen. Sie werden vom Täter bedroht und haben meist zu große Angst, nach Hilfe zu suchen.
© PHOTOCASE.DE
Kinder, die missbraucht werden, fühlen sich oft gefangen. Sie werden vom Täter bedroht und haben meist zu große Angst, nach Hilfe zu suchen.
Jessy ist 17 Jahre alt und entspricht dem deutschen Schönheitsideal. Dennoch geht sie Jungen lieber aus dem Weg und verbringt ihre Zeit mit Freundinnen oder Manu. Eines Tages kommt sie von der Schule nach Hause, betritt ihr Zimmer und findet den nackten Ralf auf ihrem Sofa vor, der gerade dabei ist, sich selbst zu befriedigen: "Mir ist der Kragen geplatzt. Ich habe ihn angeschrien, er soll verdammt noch mal verschwinden. Ich habe ihm geschworen, dass ich Mama alles sage, wenn das Sofa nicht bis abends aus meinem Zimmer ist. Dass ich dafür sorge, dass sie ihn verlässt!" Katrin*, Jessys Mutter, hat die Jahre zuvor stets die Augen verschlossen. Eine Tatsache, die Jessy ihr bis heute nicht verzeihen kann. Am Abend ist es soweit: das Sofa steht nach wie vor in Jessys Zimmer und Jessy handelt – zum ersten Mal.

"Sonst hat Mama Dich nicht mehr lieb"

"Er oder ich, habe ich sie angeschrien und ihr all die scheiß Einzelheiten hingeknallt! Ich hab ihr gesagt, dass sie nach Manu auch mich verlieren wird, wenn sie nicht endlich geht! Weg von diesem Wichser, weg mit mir!" Katrin geht. Nachdem sie jahrelang ohnmächtig war, nimmt sie ihre Tochter und verlässt Ralf. Jessy seufzt: "Ich war so froh, dass der Horror endlich vorbei war." Sie sagt, sie sei froh, dass sie endlich den Mut gefasst und den Mund aufgemacht hat: "Ich war nicht mehr das dumme, kleine Kind, das weder wusste, was da passierte, noch sich getraut hat, seine Drohungen in Frage zu stellen." Gedroht hatte Ralf ihr mit Worten wie: "Deine Mama hat Dich nicht mehr lieb, wenn Du ihr was sagst – sie wird Dich dann für immer alleine lassen!"

Jessy hat sich erst nach zehn Jahren des Missbrauchs an ihre Mutter gewandt, die zuvor zwar etwas ahnte, aber die Augen verschloss.
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Jessy hat sich erst nach zehn Jahren des Missbrauchs an ihre Mutter gewandt, die zuvor zwar etwas ahnte, aber die Augen verschloss.
Im Alter von 19 Jahren begegnet Jessy ihrem Peiniger erneut. "Er war in Begleitung seiner neuen Freundin, die gerade mal 25 Jahre alt war. Zum Vergleich: er ist 40 gewesen. Sie hat eine Tochter gehabt, die damals 9 Jahre alt war." Jessys Erinnerungen kommen in diesem Augenblick alle hoch und sie weiß, was zu tun ist. Sie geht noch am selben Tag zur Polizei und erstattet Anzeige: "Ich konnte doch nicht zulassen, dass diese Sau dasselbe noch einem Kind antut! Ich musste etwas machen!" Ihr wird gesagt, dass die Staatsanwaltschaft sich melden wird. Während sie Tag für Tag wartet, wird sie von Ralf und seiner neuen Freundin bedroht: "Sie wollte mich wegen ‚Rufmord’ anzeigen! Ich konnte es nicht fassen!"

Der Versuch, neu anzufangen

Jessy versucht so viel wie möglich über ihre Erfahrungen zu reden, sie möchte so schnell wie möglich alles verarbeiten und weiß, dass Verdrängung der Falsche weg ist. Sie redet mit ihrer Mutter, ihren Freunden. Dann lernt sie Matt* kennen, verliebt sich in ihn. Nach knapp drei Jahren folgt das erste Kind. "Ich war so glücklich", erzählt Jessy aufgeregt. "Ich war schwanger und hatte vor zu Matt nach London zu ziehen – es gab Hoffnung, alles hinter mir lassen zu können." Doch Jessy wartet immer noch auf den angekündigten Brief der Staatsanwaltschaft. Kurz vor der Geburt, also fast drei Jahre nach der von ihr erstatteten Anzeige, kommt dieser Brief. Jessy wird gebeten eine Aussage zu machen.

"Ich war hochschwanger, meine Schwester litt noch immer darunter, wenn der Name ‚Ralf’ nur fiel, ich hatte Probleme mit Freunden und ein Umzug nach London war geplant. Ich hätte eine Aussage nach so langer Zeit des Wartens einfach nicht ertragen. Wenn er Steuern hinterzogen hätte, wäre er schon lange hinter Gittern gewesen", stellt Jessy heute wütend fest. Sie meldet sich bei der Staatsanwaltschaft und bittet darum, die Angelegenheit zu vergessen. Ralf ist noch immer auf freiem Fuß und wurde nie für seine Taten bestraft. Mit seiner Freundin und deren Tochter lebt er heute noch zusammen, Katrin hat sogar noch regelmäßigen Kontakt zu dem Mann, der seiner Tochter ein schlimmes Trauma zugefügt hat.

"Ich kann sie nicht verstehen und darum haben wir auch keinen intensiven Kontakt. Meine Schwester hingegen ist mein Ein und Alles – wir haben dasselbe erlebt." Jessys Freund zeigt Verständnis und reagiert sensibel, wenn seine zukünftige Ehefrau auf manche Themen oder Berührungen anders reagiert, als andere Frauen. "Er kann dann immer mit seiner Mutter reden. Sie weiß, wie ich mich fühle, denn auch sie wurde von ihrem Stiefvater missbraucht", sagt Jessy mit einem flüchtigen Lächeln. Dann fügt sie mit einem traurigen Blick hinzu: "Man glaubt gar nicht, wie oft am Tag man Menschen begegnet, die so etwas Schlimmes erleben mussten!"

*) Namen von der Redaktion geändert
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Artikel vom 18. Oktober 2007

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