"Ich wollte endlich ich selbst sein"
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Es waren drei einfache Worte, die Jakobs* Leben veränderten. Sein Vater stand wie erstarrt im Wohnzimmer, seine Mutter saß auf dem Stuhl und schaute ihn fassungslos an. „Ich bin schwul“, hatte Jakob gesagt und diese Worte hatte er sich gut überlegt. Er hatte sie sich lange überlegt. Sechs Jahre lang. |
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Raus aus der Schattenwelt: Ein Outing ist für Homosexuelle ein großes Wagnis.
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| | Jakob ist 21, trägt dunkelblaue Jeans, weiße Sneakers und ein rotes Poloshirt. Er kommt gerade aus der BWL-Vorlesung, wirft den Rucksack auf den Stuhl und wuschelt seine braunen, kurzen Haare zurecht. "Ich seh nicht so typisch schwul aus, weiß schon", sagt er und lächelt breit und lange, wie ein Fotomodell, das geduldig wartet, bis die Szene im Kasten ist. Zwei Studentinnen am Nebentisch schauen interessiert rüber, die schlanke Blonde zwinkert. Jakob zwinkert zurück.
Mit fünfzehn bemerkt er zum ersten Mal, dass Mädchen ihn nicht interessieren. Seine Kumpels haben ihre ersten Freundinnen, es gibt nur noch ein Thema. Jakob langweilt sich, geht kaum noch aus – mit wem auch? – und entscheidet nach ein paar Wochen, dass es so nicht weitergehen kann. Er tritt einem Schwimmverein bei, trainiert beinahe jeden Tag stundenlang und gewinnt nach ein paar Monaten eine Medaille nach der nächsten. Der Erfolg macht ihn begehrt. Nach einem Wettkampf spricht ihn ein Mädchen an, sie treffen sich im Café, gehen ins Kino. Mehr nicht, denn Jakob blockt ab. Nach zwei Monaten passiert es.
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Der Regenbogen als Symbol: Nicht jeder kann so offen zu seiner Homosexualität stehen wie die Besucher des Christopher Street Days in Berlin.
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Jakob sieht aus dem Fenster. Heute bereut er, sich ihr hingegeben zu haben. "War nicht echt", sagt er tonlos. Sechs Monate hält die falsche Liebe. Einen Tag vor seinem Geburtstag macht Jakob Schluss. Auf die fassungslosen Fragen seiner Freundin antwortet er nicht. "Wie sollte ich ihr denn erklären, dass mich der Kerl aus meinem Schwimmteam mehr anmacht als sie?"
"Da läuft die Schwuchtel!"
"Schwuchtel." Das Wort trifft ihn wie ein Faustschlag. Jakob wird heiß und kalt, er sieht sich um. Hatte jemand irgendwas gemerkt? "Da läuft die Schwuchtel!" Die große Pause hat gerade begonnen. Auf dem kahlen Schulhof stehen die Coolen in Grüppchen, die weniger Coolen ein bisschen abseits. Jakob geht zu seinen Klassenkameraden. Die Hände steckt er in die Jackentaschen, weil sie zittern. Einer tippt ihm auf die Schulter und macht eine vielsagende Kopfbewegung nach links. "Der Franz is’ schwul, Alter!" Alle feixen. Jakob feixt mit, obwohl er viel lieber heulen würde.
"Manchmal habe ich nächtelang wach gelegen und mir gedacht: Morgen sag ich’s." Spätestens am Frühstückstisch mit seiner Familie verlässt ihn der Mut wieder. Jakob sucht im Internet nach Gleichgesinnten. In Foren für schwule Jugendliche findet er getippte Hilferufe, "einige wollten sich umbringen, weil sie so gemobbt wurden." Andere berichten vom erfolgreichen Outing, schreiben, wie befreit sie sich fühlen. Jakob mailt anderen Jungs aus den Foren, es sind die einzigen Menschen, mit denen er ehrlich reden kann. Jedes Mal, bevor er den Computer ausschaltet, leert er seinen E-Mail-Ordner und löscht alle Homepages, die er besucht hat. "Ich hatte eine panische Angst, dass meine Eltern das alles finden. Ich glaube, ich wäre gesprungen."
In Spanien funkt es schließlich
Die Abifahrt rückt heran. Es geht nach Spanien, nach Lioret de Mar, den quirligen Touristenort an der Costa Brava, wo sich jedes Jahr Abiturienten Deutschlands versammeln, um zu feiern. Beim Beachvolleyball am Strand lernt Jakob Manuel* kennen. Er kommt ebenfalls aus München und während sich der Rest der Klasse in den bunten, überfüllten Bars die Kante gibt, sitzen die beiden am Strand und reden. Über die Schule, die Zukunft – und am letzten Abend schließlich über sich.
Auch Manuel ist schwul. "Okay, stopp. Das klingt ja mal wieder klassisch nach Homo." Jakob schüttelt den Kopf. "Die harten Kerle schleppen die Mädels ab und die zwei Tucken philosophieren in rosa Hemden über die Ungerechtigkeit der Welt. Schon klar." Jakob will nicht so sein, wie es das Klischee vorgibt. Er ärgert sich, wenn die Männer auf dem Christopher Street Day in pinken Highheels tanzen oder ein Entertainer im Fernsehen näselnd einen Schwulen imitiert. "Ich bin kein Design-Freak, habe exakt vier Paar Schuhe und höre am liebsten laut Heavy Metal. Und ich war kein Zivi."
Die Witzeleien lassen ihn kalt
Jakob geht zur Bundeswehr. Die Frage nach seiner geschlechtlichen Neigung beantwortet er mit gekreuzten Fingern. "Hetero." Die Grundausbildung macht ihm Spaß; sportlich ist er seinen Kameraden weit überlegen. Wenn sie über Frauen lästern oder Schwulenwitze reißen, hört er nicht hin. "Irgendwie hatte sich ein Schalter in meinem Kopf umgelegt. Mich hat das kalt gelassen. Unheimlich." Mit dem Gemeinschaftsgefühl in der Truppe wächst auch sein Selbstbewusstsein. Kaum heraus aus der Kaserne, fasst er den Entschluss. "Ich wusste, dass jetzt ein neuer Lebensabschnitt losgeht. Und ich wollte vor mir gerade stehen. Ich selbst sein."
Es ist der neunte April. Ein Kochabend mit Freunden. Rotwein und Pasta. Zwischen Hauptgang und Dessert holt Jakob Luft. Die folgenden Minuten erlebt er wie in Trance. "Ich muss euch was sagen." Schwul. Die Stille im Raum. Die betretenen Blicke auf die leer gekratzten Teller. Jakobs beste Freundin fängt sich als Erste. "Schade. Du hättest bestimmt hübsche Kinder gehabt!" Sein Kumpel Andreas hebt schulterzuckend den Maßkrug und stößt auf ihn an. Später am Abend, als der Rest der Gruppe laut kreischend Tabu spielt, kommt er auf Jakob zu und schlägt ihm auf die Schulter. "Respekt." "Ich hätte nicht gedacht, dass die das alle so locker nehmen", sagt Jakob. Von anderen Menschen hingegen hat er sich rigoros verabschiedet. "Wenn ich über drei Ecken höre, dass einige doch über mich witzeln, brauchen die nie wieder vor meiner Tür stehen. Das muss ich nicht haben."
Kein Händchenhalten auf der Straße
Jakobs Leben hat sich seit seinem Coming-Out verändert . "Ich bin kein neuer Mensch. Aber der Druck, sich zu verstellen, ist auf einmal weg." Zumindest fast. Sein BWL-Studium will Jakob schnell durchziehen und dann ein Jahr lang aussteigen, um die Welt reisen. Mit Manuel. Der 22-Jährige ist mittlerweile sein fester Freund. Nach der Spanienreise brach der Kontakt ab, irgendwann bekam Jakob eine SMS, sie trafen sich wieder. Erster Kuss nach drei, der zweite gemeinsame Urlaub nach acht Wochen. "In Spanien, das wollte ich so." Glück mit Schattenseiten. Ein Paar sind die beiden nur in ihrer gemeinsamen Wohnung. "Auf der Straße Händchen halten oder küssen? Nee. Da wird man ja angeguckt, als würde man Kinder essen."
Offiziell wohnen die beiden in einer Zweck-WG; ihre Freundeskreise trennen sie strikt, denn Manuels Kumpels wissen nichts von seiner Homosexualität. "Er hat den Weg also noch vor sich", sagt Jakob mit einem Blick, der erzählt, wie es ist, diesen Weg zu gehen. Ziellos, Ausgang unbekannt. Verrückt sei es, dass jemand Angst vor der Gesellschaft haben müsse, in der er lebt. Angst vor Reaktionen auf ganz natürliche Dinge. "Und das in Zeiten, in denen mittlerweile selbst die CSU auf Homosexuelle zugeht." Jakob wirft verärgert vier Stück Zucker in seinen schwarzen Tee und beißt sich auf die Unterlippe. Er würde Manuel so gern helfen, sich zu outen. Er kann es nicht. Drei Worte können verdammt schwer sein.
* Namen von der Redaktion geändert
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Kommentare über Coming-OutManfred am 20.02.2007: Ich finde es unheimlich mutig und gut, sich zu outen, Respekt. Ich weiß wovon ich rede, mir ging es genau so mit HIV.
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