C6 MAGAZIN
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POLITIK 20.8.2006

Das Ende der sozialen Gerechtigkeit

Soziale Gerechtigkeit ist ein Zauberwort, mehr nicht. Gerade die großen Volksparteien wie die CDU/CSU, vor allem aber – naturgemäß – die SPD schreiben sich dieses Ziel gerne auf die Fahne. Ein gerechtes Deutschland in dem jeder die gleichen Chancen hat, das ist das Ziel, das ist die Rechtfertigung. Mehr aber auch nicht, denn wenn man mal darüber nachdenkt, gibt es so etwas wie soziale Gerechtigkeit in Deutschland nicht – traurig aber wahr. Also warum hören wir nicht endlich auf, so zu tun als ob?
Zunehmende Ungleichheit: Umso sozial schwächer das Mileu ist, aus dem ein Schüler kommt, desto schlechter sind seine Erfolgsaussichten
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Zunehmende Ungleichheit: Umso sozial schwächer das Mileu ist, aus dem ein Schüler kommt, desto schlechter sind seine Erfolgsaussichten
Man kann es ganz einfach machen: Platt gesagt widerspricht eine Politik, die zum einen die Bürger be- und zum anderen Unternehmen entlastet, dem, was man gemeinhin unter sozialer Gerechtigkeit versteht. Aber wir leben nun einmal in einer globalisierten Welt, in der das Aktienkapital regiert und das Wohl der Arbeitnehmer zunehmend egal wird. Gut dazu passt auch, dass zum Beispiel Josef Ackermann am selben Tag Rekordgewinne und viele Entlassungen ankündigt. Oder dass die Aktien verschiedener Energieversorger an genau dem Tag steigen, an dem diese Preiserhöhungen beantragen. Das Kapital wandert aus den Händen vieler zunehmend in die Hände weniger, die soziale Schere zwischen Arm und reich geht immer weiter auf. Das ist so und es ist unwahrscheinlich, dass an diesem Trend, nun, da er so weit fortgeschritten ist, noch etwas zu ändern sein wird, so traurig das ist. Mit anderen Worten, so etwas wie soziale Gerechtigkeit, gleiche Chancen für alle, egal welcher sozialen Herkunft, verschwindet vor unseren Augen und es gibt kaum etwas, das wir dagegen unternehmen können. Nur die Politik will das nicht wahr haben. Im Gegenteil, sie beschwört die soziale Gerechtigkeit, ja rechtfertigt ihre Entscheidungen auch weiterhin damit, am lautesten logischerweise die Linkspartei, die zwar mit Polemik auf Bundestagsmandate kommt, eigentlich aber auch keine finanzierbaren Vorschläge hat. Es wird also Zeit, sich mit der traurigen Wahrheit abzufinden, es fehlt nur noch jemand, der sich traut, uns die Wahrheit ins Gesicht zu sagen.

Nicht nur Studiengebühren erschweren den Weg hier hinein für die Angehörigen so genannter "Bildungsferner Schichten"
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Nicht nur Studiengebühren erschweren den Weg hier hinein für die Angehörigen so genannter "Bildungsferner Schichten"
Am allerschlimmsten jedoch trifft dieser Trend diese und die folgenden Generationen von Sprösslingen aus Haushalten mit kleinem und mittlerem Einkommen. Vor einigen Monaten etwa waren die Ereignisse um die Rütli-Schule in Berlin in allen Medien. Überall wurde von dem Hilferuf berichtet, den die Lehrer an das Berliner Schulamt geschickt hatten – sie kamen mit den teils sogar gewalttätigen Schülern nicht mehr klar. So weit, so schlimm. Doch was war die politische Reaktion? Genau: mangelnde Integration wurde bemängelt, verbunden mit der Ankündigung, verstärkt auf diesem Sektor tätig zu werden. Doch ist das, was von der Politik gerne mit dem sehr unschönen Wort "Parallelgesellschaft" bezeichnet wird, die Tatsache, dass sich Menschen fremder Herkunft in bestimmten Gebieten konzentrieren und in der Folge angeblich isolieren, genauso wenig der Grund für das Verhalten der Jugendlichen, wie Ende letzten Jahres für die Ausschreitungen in den Vororten von Paris. Der Grund ist ein anderer: Frustration. Die Jugendlichen auf der Rütli-Schule wissen, dass sie mit einem Hauptschulabschluss heutzutage kaum noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Das muss zwangsläufig über kurz oder lang frustrieren. In der Folge fragt man sich dann natürlich, wozu man eigentlich lernen soll, wenn man eh keinen Job bekommt und zielstrebig auf ein Leben mit Hartz IV hin die Schulbank drückt, und das wiederum vermindert die ohnehin schon kleine Chance noch zusätzlich. Ein Teufelskreis.

Immerhin kam die Hoffnungslosigkeit dieser Lebenswelt durch diesen Vorfall einmal an das Licht der Öffentlichkeit, auch wenn die Politik in erster Linie die falschen Schlüsse daraus gezogen hat und die Vorkommnisse genauso schnell wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind, wie sie seinerzeit auftauchten. Doch das Fehlen sozialer Gerechtigkeit zeigt sich nicht nur an solch deutlichen Beispielen.

Luxusgut Universitätsabschluss

Dass Chancengleichheit immer mehr verschwindet, sieht man zum Beispiel auch an der jetzt schon stetig sinkenden Quote, die Sprösslinge aus Haushalten kleiner und mittlerer Einkommen oder aus den so genannten "bildungsfernen Schichten" unter der Gesamtzahl der Studenten in Deutschland einnehmen – und das in Zeiten, in denen einerseits eine immer bessere Qualifikation für die verschiedenen Berufe gefordert wird und gleichzeitig ein immer größerer Mangel an sehr gut ausgebildeten Fachkräften herrscht. Anstatt aber in eine bessere allgemeine Schulausbildung zu investieren, um eventuelle Defizite auszugleichen und Hilfestellungen zu geben, die Eltern teilweise, auch wenn sie es wollen, nicht geben können und diesen Jugendlichen den Besuch einer Universität so leicht wie möglich zu machen, ist ein genau umgekehrter Trend festzustellen. Die Regierungsparteien halten weiter am dreigliedrigen Schulsystem fest und, schlimmer noch, im Zuge der halbgaren Föderalismusreform, wechseln die Bildungskompetenzen nahezu vollständig in die Zuständigkeit der Länder, was einer einheitlichen Förderung und einheitlichen Standards entgegenwirkt. Das allerschlimmste sind jedoch die Studiengebühren, die gerade ein Bundesland nach dem anderen einführt. Diese sind genau das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit und das Schizophrene, wenn nicht gar das Perverse an dieser Sache ist, dass gerade hier mit dem Schlagwort der sozialen Gerechtigkeit argumentiert wird. Warum, fragt etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der als einer der ersten die Gebühren einführte, solle eine Krankenschwester mit ihren Steuern das Studium eines Arztsohnes finanzieren? Dies sei im Sinne der sozialen Gerechtigkeit nicht zu vertreten.

Die traurige Wahrheit aber sieht anders aus. Der Sohn des gut verdienenden Arztes wird auch weiterhin kein Problem haben, sein Studium zu finanzieren, wenn Papa ihm das Studium finanziert, sind auch 500 Euro Studiengebühren kein Problem. Der Sohn der Krankenschwester wird aber zukünftig dreimal überlegen, ehe er sich immatrikuliert. Denn jetzt ist nicht mehr nur der Lebensunterhalt zu finanzieren, sondern eben auch noch die Studiengebühr. Natürlich helfen auch in diesen Fällen gerne die Eltern im Rahmen ihrer Möglichkeiten, in Zukunft wird eine kostendeckende Finanzspritze aber immer schwieriger. Natürlich gibt es nach wie vor Bafög, aber hier sind die Sätze seit 1998 trotz steigender Preise gleich geblieben und so wird es auch so schon immer schwieriger mit dieser Ausbildungsförderung sein Leben und sein Studium zu finanzieren. Außerdem ist die Hälfte der Förderung zurückzuzahlen, das heißt, der Universitätsabsolvent startet verschuldet in sein Berufsleben. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, die Studiengebühren "nachgelagert" zu bezahlen – das ist ja angeblich auch sozial verträglich – aber letztendlich heißt das nichts anderes, als dass jetzt auch Studenten, die es ansonsten vielleicht mit Müh und Not mit einer weißen Weste, also unverschuldet, ins Berufsleben geschafft hätten, nun mit einer Hypothek die Universität verlassen. Und dass ein weiterer zentraler Argumentationspunkt, nämlich der, dass der durchschnittliche Universitätsabsolvent auch ein höheres Einkommen erzielt, so auch nicht mehr in allen Bereichen zutrifft, stört die Verantwortlichen wenig.

Der Staat – und auch hier brauchen wir uns nichts vorzumachen – beginnt gerade, seinen Haushalt auf Kosten des Einzelnen zu sanieren. Und diese Bestrebungen vertragen sich nicht mit sozialer Gerechtigkeit. So steigt die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 um 3 Prozent. Das trifft natürlich alle, aber besonders hart auch hier die kleinen und mittleren Einkommen. Nehmen wir auch hier wieder das Beispiel des Bafög-Empfängers. Auch diese Maßnahme wird ihm das Überleben erschweren, denn er muss den erhöhten Mehrwertsteuersatz zahlen, profitiert aber andererseits nicht von den Beitragssenkungen zur Arbeitslosenversicherung. Auch das führt dazu, dass eine hochqualifizierte Berufsausbildung zum Luxusgut wird.

Auch wenn die großen Volksparteien sagen, soziale Gerechtigkeit sei eines ihrer größten Ziele und diese auch als Rechtfertigung für einige Entscheidungen heranziehen, ist dies allenfalls vorgeschoben, weil es so gut klingt. In Wahrheit wirkt sie mit ihren Entscheidungen gleichen Chancen bei der Ausbildung entgegen. Bleibt nur die Frage, ob sich die demonstrationsfaule Generation, bei der sich auch nur langsam Proteste gegen die Studiengebühren entwickeln, das einfach stumm erträgt, noch ein unbezahltes Praktikum macht und sich damit abfindet, oder ob es über kurz oder lang doch zu Protesten oder gar einer Reaktion, wie in den Pariser Vororten kommen wird.
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Artikel vom 20. August 2006

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