C6 MAGAZIN
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FRAUEN 28.6.2006

Tradition Frauenbeschneidung

Laila weint und schreit. Panisch versucht die Fünfjährige sich loszureißen. Festgehalten wird sie von drei Frauen, eine davon ist ihre Mutter. Man sieht dem Mädchen, das nur mit einem Hemd bekleidet ist, die Angst an. Vor ihr kniet eine ältere Frau, die in der Hand eine Glasscherbe hält. Die Kamera schwenkt weg und man hört Laila kreischen.
Oft werden bereits Kinder unter vier Jahren beschnitten, durchschnittlich sind die Mädchen jedoch zwischen vier und zwölf Jahren
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Oft werden bereits Kinder unter vier Jahren beschnitten, durchschnittlich sind die Mädchen jedoch zwischen vier und zwölf Jahren
Unzählige Reportagen und Dokumentationen wurden mittlerweile über das Thema der weiblichen Genitalverstümmelung gedreht, denn diese hat vor allem in Afrika noch immer Tradition. Zweifelsohne ist sie eines der umstrittensten Themen unserer Zeit. Für die einen gilt sie als Wandlung vom Mädchen zur Frau und steht für die absolute Reinheit, für die anderen handelt es sich um pure Quälerei und menschenwidriges Verhalten.

Erstaunlich ist, dass meist Mütter ihre Töchter beschneiden lassen, die selbst in ihrer Kindheit die Qualen des Rituals erleiden mussten. Die Beschneidung erfolgt meist bei Mädchen im Alter von vier und zwölf Jahren, kann jedoch auch variieren. Vorherige Betäubungen sind Einzelfälle. Das Kind wird je nach Alter und Kraft von mindestens zwei, meist allerdings vier Frauen festgehalten. Mit unbekleidetem Unterkörper liegt es auf dem Boden - ohne zu wissen, was mit ihm geschehen wird.

Krankheiten durch fehlende Sauberkeit

Dem Mädchen werden die Beine gespreizt, ähnlich wie man es von den Stühlen beim Gynäkologen her kennt. Fast immer haben die Kinder große Angst und versuchen verzweifelt sich zu wehren. Eine meist ältere Frau, die so genannte Beschneiderin, nimmt die Verstümmelung mit Hilfe von Messern, Scherben, Rasierklingen oder vergleichbar scharfen Gegenständen vor. Auf Desinfektionen wird hierbei überwiegend verzichtet, weshalb die Infektionsgefahr aufgrund der meist verschmutzten Umgebung sehr hoch ist. Als mögliche Krankheiten seien hier die Übertragung von HIV oder Hepatitis genannt, oft wird auch die Harnröhre verletzt.

Die Beschneidung verändert das Leben der Mädchen. Sogar ein einfacher Gang zur Toilette ist schmerzhaft und in der Hochzeichtsnacht werden sie vom Ehemann aufgeschnitten
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Die Beschneidung verändert das Leben der Mädchen. Sogar ein einfacher Gang zur Toilette ist schmerzhaft und in der Hochzeichtsnacht werden sie vom Ehemann aufgeschnitten
Es gibt mehrere Formen der Beschneidung, die häufigsten nennen sich "modifizierte Sunna" und "Exzision". Im ersten Fall wird die Klitoris teilweise oder komplett entfernt, bei der "Exzision" werden zusätzlich die inneren Schamlippen entfernt. Durch die fehlende Betäubung und den hohen Blutverlust sind die Schmerzen bei diesem Vorgang, der bis zu einer halben Stunde dauern kann, für das Mädchen kaum zu ertragen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass ein Viertel der Betroffenen an den langfristigen Komplikationen sterben. Die überlebenden Frauen erwarten Jahre mit einer Orgasmusunfähigkeit, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, eventuelle Unfruchtbarkeit und eine erhöhte Gefahr bei der Geburt zu sterben.

Ein kleines Loch für Urin

Nachdem das Mädchen beschnitten wurde, werden die äußeren Schamlippen aneinander genäht oder mit Dornen zusammen geheftet. Es wird streng darauf geachtet, dass lediglich ein Loch etwa so dick wie ein Reiskorn bleibt: für Urin und Regelblutungen. Der Unterleib mitsamt der Beine wird eingewickelt und von jetzt an kann es vier Wochen dauern, bis die Wunde verheilt und die Haut zusammengewachsen ist. Um letzteres zu erleichtern wird die Haut oft mit Steinen angeraut. Wenn die Mädchen erwachsen sind und schon viele Kinder zur Welt gebracht haben bleibt anstatt der Genitalien nur noch ein vernarbtes, undehnbares Gewebe zurück.

Nicht selten werden mehrere Mädchen mit einem Messer beschnitten. Die hygienischen Verhältnisse sind extrem schlecht, was oft den Tod zur Folge hat
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Nicht selten werden mehrere Mädchen mit einem Messer beschnitten. Die hygienischen Verhältnisse sind extrem schlecht, was oft den Tod zur Folge hat
Durch die Beschneidung soll vor allem die Lust am Sex genommen werden. Keine der beschnittenen Frauen wird nach diesem Erlebnis noch Lust auf die als schändlich verschriene Masturbation haben. Wenn das Mädchen verheiratet wird soll die Jungfräulichkeit garantiert sein, da der Mann sie sonst nicht zur Frau nehmen würde. In der Hochzeitsnacht schneidet der Mann seine Frau auf – meist mit Hilfe eines Messers. Hierbei und beim nachfolgenden Geschlechtsverkehr erleidet die Frau erneut unerträgliche Schmerzen, da keine Betäubung vorgenommen wird.

Gefängnis für Verstümmelungen

In den meisten afrikanischen Ländern wurde die Frauenbeschneidung 1998 verboten. Leider hält sich fast niemand daran. Wenn die Töchter beschnitten werden, wird ein Fest mit vielen Verwandten und Freunden gefeiert, ähnlich einer Geburtstagsfeier. In Somalia ist die Wahrscheinlichkeit für junge Mädchen, beschnitten zu werden am höchsten, sie liegt hier bei rund 98 Prozent. Aus Europa werden viele Töchter extra in ihr Heimatland gebracht damit dort eine Beschneidung vorgenommen werden kann.

In Deutschland reicht es dem Gericht aus, dass eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter in ein Land einreisen will, in dem Beschneidungen normal sind. Sobald dies bekannt wird kann der Frau das das Sorgerecht entzogen werden. Schafft es dennoch eine Familie ihre Tochter beispielsweise in Deutschland beschneiden zu lassen, so können bis zu zehn Jahre Gefängnis auf sie zukommen.

4.000 Beschneidungen täglich

Beschneidungen weiblicher Genitalien werden in fast 30 afrikanischen Ländern vorgenommen. Schätzungen zu Folge sind jedes Jahr drei Millionen Mädchen betroffen. Experten gehen von insgesamt rund 130 Millionen betroffenen Frauen weltweit aus. Waris Dirie hat es mit ihrem Buch "Wüstenblume" geschafft auf die grausame Tradition aufmerksam zu machen. Sie selbst wurde 1970 im Alter von fünf Jahren beschnitten. Mit 13 floh sie aus ihrer Heimat Somalia, weil sie nicht verheiratet werden wollte. Fünf Jahre später wurde sie als Model entdeckt. Seit 1997 kämpft Dirie als UN-Sonderbotschafterin gegen die Frauenbeschneidung auf der ganzen Welt. Sie versucht damit den 4.000 Mädchen zu helfen, die durchschnittlich am Tag beschnitten werden.

Lailas Beschneidung liegt nun drei Wochen zurück. Wochen, in denen sie sich aufgrund der Schmerzen kaum bewegen konnte. Wochen, in denen sie nicht einfach auf Toilette gehen konnte. Nur ein Vorgeschmack auf ihr weiteres Leben. Sollte sie ein Kind erwarten, müsste sie vor der Geburt aufgeschnitten und anschließend wieder zugenäht werden. Eine Prozedur, an die die Fünfjährige nicht denkt. Momentan hat sie trotz der Schmerzen große Freude. Freude über die Geschenke, die sie am Tag der Beschneidung erhalten hat. Wie es ihr gehe? Gut, sie werde nun eine echte Frau. Daneben im Bild die ältere Schwester, deren Beschneidung schon vier Jahre zurück liegt. Die Frage an sie, ob sie ihre Töchter ebenfalls beschneiden lassen wolle? "Ja! Natürlich! So ist es Tradition", sagt sie lachend.
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Artikel vom 28. Juni 2006

Weiterführende Links
- Genitalverstümmelung beenden: www.gtz.de/fgm

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Kommentare über Frauen

fornit am 10.03.2007:
Puuuh . ein schwieriges Thema. Nach unserem westlichen Verständnis ist die Frauenbeschneidung Verstümmelung. In den betroffenen afrikanischen Kulturkreisen wird man es wohl anders sehen. Aber mir erscheint es wie eine Spielart kolonialistischen Denkens, wenn wir mit westlicher Überheblichkeit unsere Sicht der Dinge über die der Betroffenen stellen. Sehr schwierig .

Gruß


Fay am 06.03.2007:
Wendet euch an (I)ntact, da könnt ihr nachlesen, dass auch in Afrika mit verschiedenen Aktionen Faruen dazu bewegen selbst Organisationen zu Gründen!
Ich würde mal sagen Gast 2, bevor du jemandem unterstellst, dass er nicht lesen kann,solltest du dich besser informieren!
Ich finde diese Seite gelungen, sicher noch einiges dran zu arbeiten, was bestimmte Themengebiete angeht, aber ansonsten sehr gut..Schockiert mich immer wieder, wenn ich sowas lese!


gast 3 am 20.02.2007:
woher kommt nun diese tradition? besteht ein religiöser zussamenhang oder wie kam das?


Gast2 am 27.08.2006:
"Und wo steht hier etwas darüber, dass es in Afrika längst Bewegungen gibt, die sich gegen diese Verstümmelungen einsetzen?"

Da steht, dass Waris Dirie seit 1997 gegen Frauenbeschneidung kämpft! Man muss auch lesen können!!


Gast am 16.07.2006:
Und wo steht hier etwas darüber, dass es in Afrika längst Bewegungen gibt, die sich gegen diese Verstümmelungen einsetzen? Die gehen auch von den Frauen aus, aber hier ist die die Rede von. Schade!


Dieser Artikel hat eine sogenannte Kurz-Adresse:
http://archiv.c6-magazin.de/06/themen/frauenbeschneidung/

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