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GEWALT 24.6.2006

Stahlkappen

Beinahe täglich liest man in der Zeitung von Überfällen und von Menschen, die unverschuldet in eine Schlägerei geraten. Das ist so alltäglich, dass wir nicht weiter darüber nachdenken und umblättern. Über die Opfer macht man sich dabei wenig Gedanken. Dabei sind es gerade die Opfer, denen man zuhören sollte, wenn man die ganze Sinnlosigkeit dieser Taten verstehen will. Hier schildert eines seine Erfahrungen.
Schnell kann man unverschuldet in eine Schlägerei geraten - und das ohne irgendeinen Grund
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Schnell kann man unverschuldet in eine Schlägerei geraten - und das ohne irgendeinen Grund
Es war zwei Uhr nachts, als wir aus der Kneipe kamen. Wir waren zu fünft, meine beiden besten Kumpel mit ihren Freundinnen und ich. Wir hatten Dart gespielt, über Professoren gelästert und viel Spaß gehabt. Draußen warteten Skinheads.

Ich bemerkte sie gar nicht. Zu sehr war ich in die Unterhaltung mit meinen Freunden vertieft. Meine Augen hatten sich noch nicht an das Dunkel der Straße gewöhnt. Sie sprangen ohne Vorwarnung auf uns zu, brüllten irgendetwas und schlugen zu. Ins Gesicht. Es passierte alles rasend schnell und doch quälend langsam. Bevor ich wusste, was passiert, ging ich zu Boden. Sie trugen Stahlkappen. Mein Kiefer brach beim ersten Tritt. Ich spürte noch, wie ich plötzlich Zahnsplitter im Mund hatte. Dann spürte ich gar nichts mehr. Später erfuhr ich, dass sofort Hilfe aus der Kneipe gekommen war, doch eine Minute kann sehr lange dauern.

Die Skinheads hatten sofort Reißaus genommen, als der Wirt mit ein paar Gästen auf die Straße kam. Einer der Gäste war Polizist, er rief über Handy seine Kollegen von der Wache. Sie war nur ein paar hundert Meter entfernt, innerhalb von Minuten waren zwei Polizeitransporter und ein Krankenwagen da. Zwei Polizisten blieben vor Ort, die anderen fuhren los um die Skinheads zu finden und zu stellen, die Sanitäter kümmerten sich um mich. Ich war der Einzige, der ernsthaft verletzt war, die anderen waren glimpflich davon gekommen.

Angst über Jahre hinweg

Erstversorgung, Röntgen, Untersuchungen. Beidseitiger Kieferbruch, Schneidezähne teilweise abgesplittert, einige Backenzähne verloren. Prellungen im Gesicht und am ganzen Körper. Die behandelnde Ärztin trug "Rohheitsdelikt" in ein Formular ein und gab mir Schmerzmittel. Die nächsten Wochen würde ich mich von Tütensuppe ernähren und zwei mal pro Woche beim Kieferchirurgen sein.

Ein paar Tage später erkundigte ich mich bei der Polizei, ob die Täter gefasst wurden. Ja, wurden sie. Es waren zwölf, einige hatten noch Blut an den Händen. Die Polizisten hatten sie an der nächsten Bushaltestelle erwischt, sie wollten grade nach Hause fahren. Keiner von ihnen war volljährig. Meine Freunde identifizierten einige von ihnen bei einer Gegenüberstellung. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Körperverletzung.

Die Verhandlung begann erst zwei Jahre später. Es war keine große Stadt – ich begegnete den Tätern immer wieder im Supermarkt und im Bus. Ich tat taff, setzte einen harten Blick auf. Sobald sie weg waren zitterte ich am ganzen Körper. Zwei Jahre, in denen ich abends nicht alleine durch die Stadt ging. Ich hatte Angst.

Schmerzensgeld für Mutprobe

An der Verhandlung selbst durfte ich nicht teilnehmen, da nach dem Jugendstrafrecht verhandelt wurde. Ich war nur als Zeuge geladen. Ich war nicht der einzige Zeuge: Neben meinen Freunden und mir saßen auch fünf Skinheads mit uns draußen vor dem Gerichtssaal. Sie sagten mir, sie würden mich endgültig plattmachen.

Wochen später teilte mir mein Anwalt das Urteil mit. Zwei der Angeklagten waren zu Sozialstunden verurteilt worden. Es wurde eine verminderte Schuldfähigkeit wegen massiven Alkoholeinflusses festgestellt. Es wäre eine Mutprobe gewesen: Der erste Mann, der aus der Kneipe kam, sollte "platt gemacht werden". Noch mal zwei Jahre später trudelte ein Scheck ein: 3.000 DM Schmerzensgeld.
André Bäumler
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Artikel vom 24. Juni 2006

Kommentare über Gewalt

Maik am 09.08.2006:
Da sieht man mal wieder wie solche Täter davonkommen.Sozialstunden,lächerlich.
Typisch Deutschland!


erwin am 29.07.2006:
sauerei sowas!


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