C6 MAGAZIN
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ENTWICKLUNGSHILFE 21.5.2006

Sinn und Unsinn von Entwicklungshilfe

Anlässlich des letzten G8-Gipfels in Edinburgh wurde das Thema Entwicklungshilfe in den Medien erneut heiß diskutiert. Es geht vor allem um Geld: seit Jahren werden Milliarden in die Bekämpfung von Hunger, Armut und Krankheiten gepumpt, ohne dass die Ergebnisse auch nur annähernd befriedigend wären. Reichen die Gelder nicht aus? Oder müsste man dem steten Strom an Geldern, die Jahr für Jahr an die Entwicklungsländer fließen, entschieden Einhalt gebieten? Eine endgültige Antwort auf eine so komplexe Frage, die seit nunmehr fast 60 Jahren die Wissenschaft umtreibt, wäre nobelpreisverdächtig.
Gräber von Aids-Toten
© CAMILLA GENDOLLA
Gräber von Aids-Toten
Entwicklungshilfe wird häufig mit dem Argument gerechtfertigt, nach wie vor verhinderten die Altlasten des Kolonialismus die Entwicklung der Länder insbesondere auf der südlichen Halbkugel. Diesem Entwicklungshindernis soll mit entsprechender finanzieller, technischer und organisatorischer Hilfe entgegengewirkt werden. Dabei wird aber oft verkannt, dass dadurch etwa das subsaharische Afrika auf psychologischer Ebene eben gerade nicht entkolonialisiert, sondern in Abhängigkeit gehalten wurde. Geht etwas schief, ist der Ruf nach schneller Hilfe williger Geberländer groß. Damit setzt sich fort, was schon die Kolonialherren den Afrikanern eingepflanzt haben: das Gefühl, unfähig, unselbständig und abhängig zu sein.

Konditionalität als Lösung?

Auch noch so viel Geld, das wohlmeinend gen Süden gepumpt wird, kann nicht verhindern, das korrupte Herrscher und ihre Günstlinge sich daran bereichern und nur wenig Geld an seinem ursprünglichen Ziel ankommt. Deshalb muss Entwicklungshilfe mit politischen Konditionen verbunden sein – nur wer langfristig für Good Governance und damit u.a. für Rechtssicherheit, die Achtung der Menschenrechte, demokratische Partizipation und ein entwicklungsorientiertes staatliches Handeln sorgt, bekommt auch Geld!

Bodenschätze – Segen oder Fluch?

Teile von Afrika, etwa Nigeria oder der Kongo, sind so reich an Bodenschätzen wie Öl, Diamanten oder Koltan, dass sie unter stabilen demokratischen Bedingungen unglaublich produktive Volkswirtschaften haben müssten. Aber der Zugang zu den Bodenschätzen wird vielfach in brutalen langjährigen Bürgerkriegen umkämpft; wertvolle Bodenschätze sind daher oft eher ein Entwicklungshindernis, als eine Grundlage für Frieden und Wohlstand.

Verwüstung im Bürgerkriegsgebiet
© CAMILLA GENDOLLA
Verwüstung im Bürgerkriegsgebiet
Andererseits muss aber auch erwähnt werden, dass das Interesse an diesen Bodenschätzen nur deshalb so groß ist, weil sich überall auf der Welt viel versprechende Absatzmärkte dafür finden. Die reicheren und entwickelteren Industriestaaten könnten durch Handelsembargos gegen solche "Blutbodenschätze" einen Beitrag zur Konflikteindämmung leisten. Auch gilt es, solche internationalen Konzerne in der Öffentlichkeit anzuprangern, die in diesen Gebieten operieren und sich an den Konflikten bereichern.

Aids – Immunschwäche einer Gesellschaft

Die AIDS-Epidemie hat besondern in Afrika langjährige Entwicklungsbemühungen zunichte gemacht. Schätzungen von UNAIDS gehen allein für 2005 von etwa 3,1 Millionen AIDS-Toten weltweit und 3,2 Millionen neu Infizierten im subsaharischen Afrika aus. In manchen afrikanischen Ländern, sind bis zu 60% der arbeitenden Bevölkerung mit HIV infiziert, die Lebenserwartung ist auf 35 Jahre gesunken. Wie aber soll eine Volkswirtschaft überleben oder gar ihren Platz auf den internationalen Märkten behaupten, wenn insbesondere junge und dynamische Arbeitskräfte wie die Fliegen wegsterben?

Die Schuld der Pharmakonzerne?

Zwar stimmt es, dass bislang kein Mittel gefunden wurde, um AIDS zu heilen, aber durch antiretrovirale Therapien kann der Gesundheitszustand HIV-Infizierter wesentlich verbessert und ihre Lebenserwartung um mehrere Jahre verlängert werden. Aber nur die Wenigsten – in Afrika etwa 5 % - in den Entwicklungsländern haben aufgrund der damit verbundenen Kosten Zugang zu solchen Therapien. Gleichzeitig protestieren internationale Pharmakonzerne unter Hinweis auf ihr geistiges Eigentum dagegen, dass billige Kopien ihrer Medikamente (Generika) hergestellt werden und - wie in Brasilien - vielen HIV-Infizierten eine staatlich bezahlte antiretrovirale Therapie ermöglicht wird.

Wo das Geld nicht ankommt
© CAMILLA GENDOLLA
Wo das Geld nicht ankommt
Aufgrund der pandemischen Charakters von HIV/AIDS und des hohen Gefährdungspotentials für die öffentliche Gesundheit vieler Länder wurde 2003 im Rahmen des WTO Schiedsverfahrens entschieden, dass Entwicklungsländer nicht nur unter bestehendem WTO-Recht inländischen Konzernen die Erlaubnis zur Herstellung von Generika für den heimischen Markt erteilen können, sondern diese, falls sie sie nicht selbst herstellen können, auch importieren dürfen. Dadurch konnten zumindest für die Medikamente der ersten Generation die Kosten pro Patient seit 2000 von 10 000 US-$ auf 150 US-$ gesenkt werden.

Wer setzt die Maßstäbe?

Wenn Entwicklungshilfeprojekte auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden sollen, bedarf es allgemeinverbindlicher Bewertungsmaßstäbe. Aber: weltweit gibt es unzählige Organisationen, Institute, Verbände, Fachmagazine und Lehrstühle, die eine noch viel größere Zahl mehr oder minder qualifizierter Projektbewerter hervorbringen. In der Sorge, sie könnten keine Folgeaufträge bekommen oder gar ihren Namen in Verruf bringen, machen diese "Bewertungsprofis" ihre Prüfberichte selbst dem Fachpublikum nur selten zugänglich. Wie aber soll es zu einem effizienten und koordinierten Einsatz von Mitteln und Wissen kommen, wenn etwa eine Projektart, die in den USA als Erfolg versprechend gilt, in Deutschland angezweifelt und in Schweden als untauglich völlig verworfen wurde, noch immer eingesetzt wird?

Entwicklungshilfe als moderner Wirtschaftszweig

Und schließlich und endlich: so sehr der Begriff "Entwicklungshilfe" positive Konnotationen von Gutmenschentum und Selbstlosigkeit weckt, so sehr gilt es zu bedenken, dass sich dahinter eine wahrhaftige "Entwicklungshilfeindustrie" verbirgt, an der viele – und viele sehr gut bezahlte – Jobs hängen. Kaum einer, der in dieser Industrie tätig ist, wird ein Interesse daran haben, seine Arbeit unnötig zu machen. Ebenso wenig wie die meisten Menschen in den reicheren Industriestaaten kaum ein Interesse daran haben dürften, billige Lieferanten von Rohstoffen und Produkten wie etwa Kleidungsstücken und gleichzeitig Absatzmärkte und vielleicht sogar einen bestimmten Lebensstandard zu verlieren. Es stellt sich also die Frage: wollen wir die Entwicklungsländer tatsächlich entwickeln?
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Artikel vom 21. Mai 2006

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