C6 MAGAZIN
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ARBEITSMARKT 10.5.2006

Ausbilden wird zur ideellen Sache

So wenige Regulierungen wie möglich, dann reguliert sich der Markt schon von selber. Gelder streichen und den Kündigungsschutz gleich mit den Angestellten wegrationalisieren. Einen Betrieb kann ohnehin jeder aus dem Boden stampfen. Als Ich-AG oder über die liberalisierte Handwerksordnung von 2004 zum Beispiel. Doch die Position der kleinen Leute wird durch diesen neuen Liberalismus nicht gestärkt. Genau das Gegenteil ist der Fall, wie das Beispiel der neuen Handwerksordnung zeigt. Denn das reine Streben nach Profit, kann weder die Qualität von heute noch den Wohlstand der Zukunft sichern.

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Langweilig wird es Alois Grünmann und Detlef Tieberg bestimmt nicht. Die Auftragsbücher sind voll und das Geschäft läuft gut. Zusammen verlegen die beiden Handwerker erfolgreich Fliesen. "Wir sind in der Position, dass wir mit dem Preis sogar noch runter gehen könnten", schwärmt Grünmann glücklich. Der Vater von Tieberg ist Bauunternehmer und schustert den beiden immer wieder den einen oder anderen Job zu. "Es könnte nicht besser laufen", lacht Tieberg zufrieden. Im Juli 2005 hatten die beiden in Haselünne, in Niedersachsen einen kleinen Fliesenlegerbetrieb gegründet. Ein paar Werkzeuge und einen kleinen Lieferwagen, ein Telefon und einen Terminkalender. Viel mehr brauchen sie nicht um Geld zu verdienen. Einen Meisterbrief hat keiner der beiden. Aber Tieberg verlegt seit 16 Jahren als Geselle Fliesen und Grünberg ist bereits seit 22 Jahren im Geschäft.

Ein Erfolg der zwei Fliesenleger, keine Frage. Und auch ein Erfolg für die neue Handwerksordnung, die seit Januar 2004 in Kraft ist. Ziel der rot-grünen Bundesregierung war es damals, Neugründungen von Betrieben zu vereinfachen, um so mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Die Auflagen für eine Betriebsgründung wurden dafür in vielen Berufen stark gelockert. Der Meisterbrief zum Beispiel ist bei einer ganzen Reihe von Berufen seither nicht mehr nötig, um sich selbstständig zu machen. Ein Umstand, der Grünmann und Tieberg aus der Arbeitslosigkeit geholfen hat. Genau wie vielen anderen. Die Novellierung der Handwerksordnung sorgte im Großraum Osnabrück für einen ordentlichen Anstieg der eingetragenen Betriebe ohne Meisterbrief. In den Jahren 2004 und 2005 um jeweils etwa 50 Prozent.

Trotzdem sieht die Handwerkskammer Osnabrück die neue Handwerksordnung kritisch. Eigentlich habe sie nie jemand gewollt, meint Andreas Laer, der Pressesprecher. Denn "die neuen Betriebe schaffen keine Jobs", betont er. Vielmehr seien viele nur auf das schnelle Geld ausgelegt. "Von allen neu eingetragenen Fliesenlegerbetrieben haben nur drei einen Lehrling eingestellt. Daran ist ersichtlich, dass es überhaupt keine Impulse auf dem Arbeitsmarkt durch die neue Handwerksordnung gibt. Das ist Fakt!", betont er mit Nachdruck. Das Handwerk als Ausbilder der Nation ist dabei den Löffel, die Säge und den Spachtel hinzuschmeißen. Deutschlandweit erwartet die Handwerkskammer Osnabrück sogar, dass 2006 etwa 80.000 Arbeitsplätze verloren gehen.

Thorsten Wasserbauer hat einen kleinen Fliesenlegerbetrieb in Osnabrück. Ein Zweimannbetrieb, um genau zu sein. Er, der Meister und sein Lehrling. Im harten Konkurrenzkampf ist es schwer für ihn zu bestehen. Bürokratie, Abgaben für den Lehrling, der Lohn selber, den er zu zahlen hat – umgerechnet 4 bis 6 Euro mehr pro Quadratmeter Fliesen machen den Unterschied. Oft sind die Aufträge knapp. Immer wieder muss Wasserbauer seinen Lehrling nach der Mittagspause nachhause schicken. "Manchmal gibt es einfach nichts mehr zu tun", sagt er. "Lehrlinge ausbilden ist schon fast eine ideelle Sache geworden", fügt er hinzu. "Und am Ende bleibt eben kein Geld für Idealismus". Seine Stimme ist ruhig. Wasserbauer lässt sich nicht anmerken, ob er nun enttäuscht oder zornig ist.

Andreas Laer von der Handwerkskammer Osnabrück ist sachlich und professionell. Seine Abneigung gegenüber der neuen Handwerksordnung ist ihm dennoch deutlich anzumerken. "Der Meisterbrief ist wichtig, und kann nicht einfach abgeschafft werden", sagt er. Neben der fachlichen Ausbildung würde den Gesellen mit dem Meisterbrief nämlich auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt, erläutert er. Und die Zahlen nach zwei Jahren mit der neuen Handwerksordnung bestätigen ihn. Ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse geht es offenbar einfach nicht. Anscheinend muss man die Buchhaltung, den Umgang mit Geld und die Planung eines Unternehmens eben gelernt haben. Viele der neu gegründeten Betriebe haben jedenfalls längst wieder dicht machen müssen. Viele wollten sich auch gar nicht langfristig am Markt etablieren, sondern nur schnelle, billige Arbeit abliefern, soviel Geld wie möglich verdienen um sich aufzulösen, noch bevor die ersten Beschwerden einlaufen.

Tieberg und Grünberg fühlen sich von solcher Kritik nicht angesprochen. Für sie war die Novellierung der Handwerksordnung ein Glücksfall. Gesamtgesellschaftlich wird sie dagegen eher zum Problemfall. Liberalisieren bedeutet langfristig eben nicht immer, mehr in der Tasche zu haben.
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Artikel vom 10. Mai 2006

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