C6 MAGAZIN
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KOMMENTAR 22.11.2005

Die Ärzte sind krankenhausreif!

Ulla Schmidts jüngste Äußerungen zum Reformbedarf des Gesundheitssystems sind bemerkenswert. Während überall privatisiert und liberalisiert wird, rügt sie marktkonformes Verhalten.
Die Ärzte stecken in der Klemme!
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Die Ärzte stecken in der Klemme!
Da sind zunächst die Kassen an der Reihe: Wettbewerb gebe es auch genug, wenn es weniger Kassen gäbe. Man fragt sich woher die Ministerin das so genau weiß, nimmt man doch gemeinhin an, dass ein Unternehmen dass Gewinne erwirtschaftet, weil es wettbewerbsfähig ist, eine Existenzberechtigung am Markt hat. Ob der Wettbewerb zwischen den verschiedenen gesetzlichen Kassen funktioniert und die Entlohnung mehrerer Kassenvorstände rechtfertig ist dabei eine andere Frage. Es käme wohl niemand auf die Idee, die Anzahl der Autoversicherungen durch politische Initiative senken zu wollen, nur weil auch dort eine Vielzahl von Führungskräften ordentliche Gehälter einstreicht. Dies zeigt, dass man im Gesundheitssystem offenbar noch immer nicht wirklich bereit ist, sich von der Idee des Interventionismus zu verabschieden.

Fehler? Ja, aber wessen?

Beim zweiten wichtigen Punkt ist der Ministerin schon eher zuzustimmen: Die Ungleichbehandlung der Privat- und Kassenpatienten bei gleichen oder höheren Beiträgen und ohne freie Wahlmöglichkeit für alle Versicherten ist eine Ungerechtigkeit und kaum noch zu vermitteln. Doch wer dies so sagt oder aus dem Zusammenhang gerissen zitiert, spielt mit dem Feuer. Denn es ist wichtig an dieser Stelle anzumerken, dass die Ungleichbehandlung ein Fehler im System ist. Betroffene Ärzte sprechen von "übelster Planwirtschaft" und von einem Regelwerk, "dass einem wie ein Korsett im 18.- 19. Jahrhundert die Luft zum Atmen nimmt".
Wer unter solchen Bedingungen arbeiten muss, der ist nicht für Probleme bei der Versorgung direkt oder indirekt verantwortlich zu machen. Schließlich stellen die Ärzte ja lediglich das letzte Glied in der Kette zwischen politischer Entscheidung und dem Patienten dar. Wer dies nicht berücksichtigt, kritisiert voreilig und begeht einen großen Fehler. Schließlich bedeutet das Verhalten der Mediziner lediglich, dass diese sich beim Angebot ihrer Arbeitsleistung am Markt orientieren, der ihnen per Gesetz vorgegeben wird. Dass dies schließlich dazu führt, dass Ärzte lieber oder ausschließlich Privatpatienten behandeln, ist zwar bedauerlich aber verständlich. Dieses Verhalten zu brandmarken, zeigt hingegen, dass man sich anscheinend noch immer nicht von der Vorstellung des Arztes als "Engel in weiß" gelöst hat.

Die Säkularisierung der Medizin

Genau das ist aber weit überfällig. Denn auch die Medizin (von der Akutmedizin einmal abgesehen) muss in ihrer "säkularisierten" Form in Zukunft als eine, zumindest an dem Ziel der wirtschaftlichen Effizienz orientierte, Dienstleistung verstanden werden, will man den enormen und aufs Absehbare immer weiter steigenden Kosten Herr werden. Akzeptiert man diesen Umstand, muss man aber auch einsehen, dass eine teils dreifach höhere Vergütung derselben Leistung schwerlich ohne Konsequenzen bleiben kann. In Anbetracht dieser Tatsache ist die Frage nach der Gerechtigkeit nämlich nicht von den Ärzten zu beantworten, da deren Handeln lediglich als die Folge der politischen Entscheidung eben diese zwei Versicherungsmodelle zu etablieren, zu sehen ist. Deren Ausgestaltung und Finanzierung ist es nämlich, die zu einer bevorzugten Behandlung Privatversicherter führt.

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Würde es sich die Behandlung aller Patienten gleichermaßen wirtschaftlich rechnen, gäbe es für diese schließlich keinen Grund. Dass die meisten Ärzte es sich allerdings dennoch nicht so leicht machen Patienten nach Hause schicken, zeigt die Praxis vieler Hausärzte ihre chronisch kranken Patienten auf eigene Rechnung weiterbehandeln. Und zwar trotz der Tatsache, dass an diesen nach der geltenden Gebührenordnung aus betriebswirtschaftlicher Perspektive kein Gewinn zu machen ist – im Gegenteil.

Effizienz unerwünscht

Wie weit bestimmte Absurditäten des Systems gehen, die wiederum gerne den Ärzten angelastet werden, zeigt sich bei der ambulanten Versorgung durch niedergelassene Fachärzte. So schreibt der SPIEGEL jüngst im Rahmen eines Interviews mit dem Mediziner und Gesundheitsforscher Matthias Schrappe etwas von einer unnötigen Doppelversorgung zentralisiert durch Krankenhäuser und dezentralisiert durch niedergelassene Fachärzte. Das letztere allerdings um ein vielfaches effizienter arbeiten zu scheinen, da sie es schaffen mit einer Vergütung die einem drittel (!) des Krankenhaussatzes entspricht dennoch Gewinn zu erwirtschaften, wird dabei gerne einmal verschwiegen – und das Bild der sich am System bereichernden Ärzte in der Öffentlichkeit weiter gepflegt.
Dass, wie das Urteil des europäischen Gerichtshofes zur Vergütung der Nachtschichten von Klinikärzten, von einigen Ausnahmen abgesehen das Gegenteil der Fall ist, wird weiterhin ignoriert. Zwar schimpft man seitens der Kostenträger gern auf die Ärzte, wenn es hart auf hart kommt, ist man aber offensichtlich doch nicht bereit auf ihre schnelle und im Vergleich zur stationären Versorgung kostengünstige Arbeit zu verzichten. Dies zeigte etwa ein Chirurgenstreik im vergangenen Jahr in Hessen, der sich gegen eine zu niedrige Vergütung ambulanter Leistungen richtete. Eine Höhere wurde gefordert und schon nach kurzer Zeit aufgrund chaotischer Zustände in den Kliniken durchgesetzt – auch weil sie sich als die für die Kostenträger letztlich günstigere Alternative herausstellte.

Akuter Handlungsbedarf

Diese Beispiele machen klar, dass die Beseitigung von Ungleichheiten und die Kontrolle der Kostenexplosion nicht dadurch zu erreichen sind, dass man den Ärzten Gier und Egoismus vorwirft. Wer dies tut, sollte einen Blick auf Ärztegehälter im Ausland werfen und sich fragen, warum denn überhaupt noch Mediziner in Deutschland arbeiten. Wer wirklich eine Gleichbehandlung für alle anstrebt, ist mit dem Vorschlag einer Angleichung der Vergütung nicht schlecht beraten. Dass diese sich freilich nicht in Richtung Kassensatz sondern nach oben hin vollziehen müsste, will man nicht eine Vielzahl wirtschaftlicher Existenzen zerstören und den Versorgungsnotstand riskieren, sollte allerdings dazu gesagt werden. Da dies in Zeiten knapper Mittel kaum durchsetzbar erscheint, müssen wohl doch noch andere Vorschläge auf den Tisch. Man darf gespannt sein.
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Artikel vom 22. November 2005

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