Hartz IV – Chronik eines PR-Fiaskos
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Es bewegt sich etwas in Deutschland. Nicht viel, aber immerhin es bewegt sich etwas. Sogleich wird dann aber auch die Losung ausgegeben: Wer Wind säht, wird Sturm ernten und man ruft zum bundesweiten Massenprotest. So stellt sich die Frage, weswegen es die Politik nicht schafft, sich die bittere Wahrheit über die eigene Verantwortung für den peinlichen Mangel an Alternativen zur Reform einzugestehen. |
Schenkt man den Schlagzeilen über die Reform, welche den sperrigen Namen Hartz IV trägt, in ihrer Sensationslust vorschnell Glauben, so könnte man schnell meinen, dass im Rahmen dieses Gesetzes Teile der Bevölkerung regelrecht versklavt würden. So skandiert die PDS, dass es sich um "Armut per Gesetz" handele und appelliert so an die Leser jener Zeitung, die dem Volk, anderthalb Monate nachdem das Gesetz beschlossen wurde, mitteilte "wie schlimm es wirklich wird".
Niemand zweifelt daran, dass die Einschnitte hart treffen, aber es ist dennoch verwunderlich zu sehen, wie viele Menschen in diesem Land nach wie vor an der Notwendigkeit dieser Beschlüsse zweifeln. Sie wurden, nachdem ähnliche Ideen seit Jahren angemahnt wurden, von Experten ausgearbeitet und nun von einer breiten politischen Mehrheit beschlossen. Selbst der Guardian, der nicht im Verdacht steht aus einer Haltung neoliberaler Peanut-Arroganz zu sprechen, hält die Reformen für richtig; wenn auch in dieser Form für etwas bescheiden.
Der SPIEGEL, der seit einigen Jahren auf die Notwendigkeit eines Umbaus der Sozialsysteme hinweist, drängt gar mit dem Hinweis, dass eine Vielzahl anderer europäischer Länder, wie etwa Schweden, die Schweiz, Dänemark und als großes Vorbild Großbritannien, einen ähnlichen, durchaus nicht einfacheren Umbauprozess bereits hinter sich gebracht hätten. Die Früchte dieser Politik werden dort zur Zeit in Form von höherem Wirtschaftswachstum und verbesserter Wettbewerbsfähigkeit geerntet.
Zu hart und zu weich
Aber es gibt auch kritische Stimmen. Michael Schumann, emeritierter Soziologe der Universität Göttingen, hält Hartz IV für zu hart und zu weich. Zu hart, weil eine soziale Klasse der "down and outs" erzeugt werde und zu weich, da der soziale Mittelbau der Gesellschaft, nicht hinreichend belastet werde. Ferner sei es problematisch, Arbeitslose unter Druck zu setzen sich um einen Job zu bemühen, solange diese Jobs auf Jahre hinaus nicht in Sicht seien. Schumann plädiert daher für massive Einschnitte bei jenem produktiven Teil der Gesellschaft, den man früher als Bürgertum bezeichnete, da dieser diese Einschnitte besser verkraften könne.
Die Ärtze, Anwälte, Beamte und mittelständischen Unternehmer sollten stärker belastet werden und die resultierenden Mittel in Bildung und Forschung gesteckt werden. Ob jedoch eine weitere Belastung des Mittelstandes, bei ohnehin schwächelnder Binnennachfrage einen gangbaren Weg darstellt, ist zu bezweifeln. Auch DIE ZEIT schreibt in ihrem Leitartikel, dass eine stärkere Belastung der Leistungsträger und Innovationskräfte der Gesellschaft die Krise nicht lösen, sondern verschärfen könnte. Doch dies wird jene, die die Auswirkungen der Reform bald im Portemonnaie spüren, wohl nicht beruhigen.
Ein Protest nimmt seinen Lauf
Die Art und Weise der Umsetzung hat maßgeblich zur aktuellen Aufregung beigetragen hat. Laut einer Forsa-Umfrage haben 73% der Bundesbürger geringeres Vertrauen in die Politik als noch vor einigen Jahren. Etwa 32% gaben an, dass das Wort Reform für sie negativ konnotiert ist. Bei derart viel Ärger sprechen sich denn auch tatsächlich 64% der über 7000 Teilnehmer einer N-TV Online-Umfrage dafür aus die Reformen auf einen späteren, determinierten Zeitpunkt zu verschieben. Und da meinte man zunächst, dass es sich bei dem guten alten Spruch "Was du heute kannst besorgen..." um eine Binsenweisheit handelte. Es wird sich noch einiges ändern müssen in diesem Land...
Vor einigen Monaten schrieb eine französische Journalistin, dass es sich bei der Ruhe, mit der das nun letztlich doch als notwendig Erkannte in die Praxis umgesetzt wird, um eine beneidenswerte Eigenschaft des deutschen Reformprozesses handele. Schließlich hatte eine vom Maßstab vergleichbare Umstrukturierung der Rentenversorgung französischer Beamter in Frankreich vor nicht allzu langer Zeit beinahe zu einem Chaos geführt. Diese Ruhe, die bei vielen wohl eher einer Art Gleichgültigkeit, ja fast aktiver Verdrängung gleichkam, scheint nun verloren zu gehen. Dabei sind die "Montagsdemonstrationen", als Anlehnung an die Bürgerbewegung der Wendezeit, verfehlte Veranstaltungen. Meinungsverschiedenheiten und Protest sind der Demokratie inhärent und eines jeden Recht. Doch die akuten Auswirkung einer anerkanntermaßen notwendigen Maßnahmen, zu der bis jetzt von keiner politischen Kraft ernstzunehmende Alternativen präsentiert wurden, dürfen nicht aus politischem Kalkül ausgenutzt werden. Dies schadet unserem Land und den Menschen, die in ihm leben; jenen, die arbeiten und jenen die Arbeit suchen.
Wenn in den neuen Bundesländern das Gefühl "Wir-gegen-die-da-Oben" erneut erfolgreich mobilisiert wird, so vertieft dies die Teilung des Landes in Ost-West. Sollten auf der anderen Seite die Reformen weiter kostspielig "nachgebessert" oder gar verschoben werden, so werden jene Eliten, deren verantwortungsbewusstes Handeln jüngst verstärkt angemahnt wurde, sich erneut kopfschüttelnd abwenden. Deutschland auf ewig das Land der sozialen Hängematte. Die von Horst Köhler in seiner Antrittsrede vor der Bundesversammlung erwähnten Spaltungstendenzen innerhalb unserer Gesellschaft nehmen zu.
Hartz aber herzlich
Hört man die Reden mancher Gewerkschaftsfunktionäre, so gewinnt man den Eindruck, die politische Linke sehe sich einer politischen Verschwörung zum Rückbau des gerade erkämpften Sozialstaats gegenüber. Dass es sich bei Hartz IV vielmehr um eine Initiative zur Sicherung des Sozialstaats handelt wird selten erwähnt. Niemand macht sich gerne unbeliebt. Und gerade angesichts dieser Tatsache ist die Durchsetzung der Reformen, so dürftig und dilettantisch sie im Einzelnen auch verlaufen sein mögen, der große politische Verdienst Gerhard Schröders. Er hat entgegen aller Umfragewerte das getan, was er für richtig hielt, und auch wenn dies für viele einen bitteren Beigeschmack hat, somit nicht dem Klischee eines Sprechblasenpolitikers entsprochen.
Man kann in Schröders Flucht nach vorn seinen endgültigen Wandel vom Opportunisten zum Pragmatiker sehen. Dies müssen auch jene anerkennen, die die Agenda 2010 inhaltlich ablehnen. Der Blick aufs Meinungsbarometer kann und darf nicht weiterhin der politische Ratgeber deutscher Politiker bleiben. Schließlich ist es genau jener Mut unbequeme Wahrheiten zu verkünden, den Deutschland, unabhängig von allen politischen Farben, auch in Zukunft braucht. Dies sollten die Wähler im Jahre 2006 berücksichtigen. Es ist offensichtlich, dass manche so schwer an Ihren Bedenken tragen, dass man sie nicht zusätzlich durch das Tragen von Verantwortung belasten sollte. |
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