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KOMMENTAR 21.5.2002

Gibt es eine Immunität für Unrecht? Karsli-Krise der FDP

Nach den umstrittenen Äußerungen von Jamal Karsli, der jüngst in die FDP aufgenommen wurde, kommt es zum Eklat. Das ganze endete in einer Wahlkampfseifenoper (die Hauptdarsteller: Karsli, Möllemann, Westerwelle, Spiegel und Friedmann) - und vernachlässigt damit leider die zentrale Frage danach wer was sagen darf.
Zentralrat der Juden in Deutschland
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Zentralrat der Juden in Deutschland
Mit großem Befremden habe Ich die in der letzten Zeit ausgetragene Debatte über die Äußerungen des Jamal Karsli beobachtet. Vor etwa einer Woche hatten wir an unsere Schule einen Israeli zu Gast: Reuwen Moskowitz. Dieser ist als Kind in Rumänien selbst von den Nationalsozialisten verfolgt worden und leitet heute ein Friedensdorf in Israel. Das ist eine Initiative, bei der Palästinenser und Israelis, sozusagen im Modellversuch friedlich miteinander in einer Stadt leben. Ferner organisiert er Hilfskonvois um den von der Versorgung abgeschnittenen Palästinensern das Überleben zu ermöglichen.

Dieser Mann meinte auf meine Frage, was er von den Äußerungen des Zentralrats der Juden und dem Verhalten der deutschen Politiker halte, dass er es sehr Schade fände, dass nur wenige Politiker den Mut haben, Kritik an (s)einem Staat zu üben, der "mit Nazi-Methoden ein anderes Volk unterdrückt" (das waren seine Worte). Was den ZdJ angeht so sagte er, dass dieser nur die Hardliner Linie der gegenwärtigen Regierung und keinesfalls die des gesamten jüdischen Volkes repräsentiere. Dies komme daher, dass im Ausland lebende Juden immer das Gefühl hätten, dass sie Israel in allem was es tut unterstützen müssten, da sie sonst "vor einem zweiten Holocaust" stünden. Wir, die junge Generation, sollten uns aber dennoch nicht von dem was sie sagen abhalten lassen, Unrecht als Unrecht identifizieren, und dagegen protestieren. Das war seine Botschaft.

Hat durch seine Äußerungen die neue Antisemitismusdebatte losgetreten - Jamal Karsli
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Hat durch seine Äußerungen die neue Antisemitismusdebatte losgetreten - Jamal Karsli
Mit diesen Äußerungen hat er mir geradezu aus der Seele gesprochen. Wie kann Paul Spiegel etwas sagen wie "Ich beobachte einen steigenden Antisemitismus in Europa. Die Hemmschwelle (!) Kritik an Israel zu äußern ist zurückgegangen." Da war für viele die "Moralkeule" (Walser) nicht mehr weit. Zeugt diese Aussage doch von einer, sich jeder Kritik erhaben fühlenden Haltung, die, da hat Herr Möllemann nicht ganz unrecht, den wirklichen Antisemiten (also jene die Juden kritisieren weil sie Juden sind) Aufwind verschafft.
Kritik am Menschenverachtenden Vorgehen der israelischen Armee mit dem hierzulande als Schreckgespenst fungierenden Antisemitismus gleichzusetzen, ist absolut verantwortungslos. Unrecht darf nicht durch ein Etikett Immunität genießen.

Es muss einem deutschen Politiker doch genauso erlaubt sein Unrecht zu kritisieren wie jedem anderen auch. Das Hamid Karsli mit seinen Äußerungen zu weit gegangen ist, da sein Tonfall zwangsläufig einen der Sache wenig dienlichen Proteststurm auslösen musste, ist klar. Aber das ändert dennoch nicht, dass es in der Sache richtig ist, einen Staat zu kritisieren welcher mit Methoden vorgeht, die gegen jedes internationale Abkommen verstoßen. Jedes andere Land wäre bei ähnlichen Vorfällen (Menschenrechtsverletzungen, das Ignorieren mehrerer UN Resolutionen) wahrscheinlich schon längst mit Sanktionen (Scharping hat mit dem Export-Stopp für deutsche Panzer schon einen ersten Schritt getan) belegt und/oder durch eine internationale Schutztruppe besetzt worden.
Doch auch an einer Schutztruppe entflammen sich die Gemüter. So wurde schon vor einigen Wochen über des Kanzlers Vorschlag deutsche Soldaten ins "Heilige Land" (man überbot sich mal wieder gegenseitig mit derartig bedeutungsschwangeren aber dennoch wenig sachdienlichen Phrasen) heftig diskutiert. Man könne doch keine bewaffneten Deutschen nach Israel schicken. Was für eine Vorstellung, wenn ein deutscher Soldat einen Israeli erschösse! "Nicht auszumalen. Was für eine Undenkbarkeit!"

Bei solchen Äußerungen merkt man was für eine unausgegorene Haltung viele in der deutschen Politik gegenüber Israel haben. Wie kann man da nur einen Unterschied machen. Wenn ein Soldat einen Menschen aus Notwehr tötet ist das furchtbar. Wie irrelevant ist es dabei allerdings, welcher Religion oder ethnischen Gruppe dieser angehört. Da einen Unterschied zu machen deutet vielmehr darauf hin, dass viele noch immer nicht gelernt haben, das moralische Verantwortung nicht bedeutet darauf zu achten, dass den Juden nie wieder etwas derartiges passiert, sondern dass sich dies auf alle Menschen bezieht. Die Aufgabe der Nachgeborenen ist es, gegen Unrecht aufzustehen, egal wem es geschieht und egal von wem es verübt wird.
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Artikel vom 21. Mai 2002

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