C6 MAGAZIN
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AUSLANDSSEMESTER 6.2.2006

Ein Platz an der Sonne

17:00 Uhr, 30 Grad im Schatten. Eine kleine Gruppe englischer Studentinnen biegt um die Ecke zum Wohnheim. Strandmatten unterm Arm, Flip Flops an den Füßen. Christian aus Kiel packt gerade sein Zelt und den Campingkocher in den Rucksack. Im Zimmer nebenan sitzen fünf Italiener und beraten laut, was sie heute Abend kochen wollen. In der Bibliothek sitzt die Finnin Marianna vor ihrem Buch und schaut gedankenverloren auf das glitzernde Meer…
Cascade de Niagara
© CAMILLA GENDOLLA
Cascade de Niagara
"Wo???" fragen die meisten, wenn man von einem Auslandssemester auf La Réunion erzählt - eine verständliche Reaktion, denn die französischsprachige Insel liegt 9200 km von Paris entfernt im indischen Ozean. La Réunion, ehemals Île Bourbon und französische Kolonie, gehört heute als Überseedépartement zu Frankreich und damit auch zur Europäischen Union. Deshalb kann sich, wer es geschickt anstellt, ein Auslandssemester auf diesem Inselparadies durch das Erasmus-Programm der EU finanziell fördern lassen. Ein weiterer Vorteil: das Austauschprogramm garantiert, dass ein Großteil der dort erkannten Studienleistungen auch an der Heimatuniversität in Deutschland anerkannt werden.

A la recherche du paradis perdu

Die Universität ist mit ca. 11 000 Studenten mittelgroß, das Studienangebot breit gefächert. Wegen der ethnischen und kulturellen Vielfalt - die Bevölkerung ist afrikanisch-, indisch-, chinesisch- und französischstämmig -, der atemberaubenden Pflanzenwelt und des aktiven Vulkans Piton de la Fournaise zieht es vor allem Ethnologen, Biologen und Geologen in die Hörsäle. Aber unter den vielen Deutschen, Engländern, Quebecern und den wenigen Skandinaviern, Italienern und Spaniern, die für ein halbes oder ganzes Jahr hier studieren, sind auch viele, die eigentlich weniger wegen der "interessanten Studienobjekte", als wegen der Sonne, der Strände, des türkisblauen Ozeans mit seinem Korallenriff und den vielen bunten Fischen, wegen der steilen, grünen Berghänge, der vielen exotischen Pflanzen, Früchte und Wasserfälle nach Réunion kommen.

Erasmus-Gipfelstürmer nach 6 Stunden Aufstieg endlich auf der Spitze der Roche Ecrite
© CAMILLA GENDOLLA
Erasmus-Gipfelstürmer nach 6 Stunden Aufstieg endlich auf der Spitze der Roche Ecrite
Und tatsächlich sieht man die meisten Erasmus-Studenten öfter als in den Hörsälen auf und unter dem Meer, sieht sie mit schweren Trekkingrucksäcken steile Berge hinaufstapfen, um in 3000 Metern Höhe den Ozean in jeder Himmelsrichtung zu sehen, durch Flüsse waten und von Felswänden in Bäche und Seen springen, am Strand um ein Lagerfeuer sitzen, singen und irgendwann mitten in der Nacht völlig erschöpft im Sand einschlafen. Mal ehrlich: wer würde nicht eine Formel Formel und eine Theorie Theorie sein lassen, um möglichst viel von diesen Elysischen Gefilden zu erhaschen?

La Communauté Erasmus

Leider haben es die Kommilitonen aus Réunion, Mauritius und Madagaskar nicht ganz so gut wie die Austauschstudenten, da sie viel Zeit für Uni und Nebenjob opfern müssen. Und so kommt es nicht selten vor, dass die Austauschstudenten in fünf Monaten mehr von der Insel gesehen haben, als die jungen Einheimischen. Wie bei vielen "typischen" Erasmus-Orten bleiben die Erasmusstudenten auch hier größtenteils unter sich. Obwohl les Erasmus auch Französisch lernen, hört man auf den Gängen der Cité Internationale, dem Wohnheim auf dem Campus, doch meist Satzbrocken, Ausdrücke und Schimpfwörter in fast allen europäischen Sprachen.

Und wenn es Abend wird auf la Réunion und vom Meer eine leichte Brise über die Palmen auf dem Campus weht, wenn die Madegassen ihre Trommeln herausholen und auf dem Parkplatz vor dem Wohnheim singen, dann wünscht sich der eine oder andere, er könnte ewig hier bleiben - und weiß doch, dass die Einzigartigkeit dieses wunderbaren Abenteuers auch durch seine zeitliche Beschränkung bedingt ist.
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Artikel vom 6. Februar 2006

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