C6 MAGAZIN
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FILMBESPRECHUNG 18.1.2006

Die Leichtigkeit des Seins

Lyrik führt ein Schattendasein? Lyrik ist out? Keinesfalls. Anfang 2003 kam der Film „POEM“ des Berliner Musikfilmregisseurs Ralf Schmerberg in die Kinos. In diesem Spielfilmprojekt steht die Lyrik von 19 deutschen Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Deutsche, aber auch ausländische Schauspieler liehen den Gedichten ihre Stimme – oder spielten eine Rolle in diesem Episodenfilm. Das Ergebnis lässt sich sehen!

© POEM
Die Fragen, die zu Beginn geklärt werden müssen, beschäftigen sich mit dem Schattendasein der Lyrik. Denn ist Lyrik wirklich so langweilig, wie man immer denkt, wenn man durch ständiges Auswendiglernen geplagt wird? Und warum findet man in Buchhandlungen und Verlagsprogrammen immer weniger Gedichtbände – gerade von jungen Autoren? Ralf Schmerbergs 2003 erschienener Film "POEM" ist sicherlich ein Lichtzeichen am Ende eines Tunnels, der die Lyrik wieder in den Mittelpunkt stellen will. Ein junger Asiat trägt seinen alten Vater auf einem Holzgestell am Rücken durch das Himalaja. Die beiden reden kein Wort miteinander und wirken sehr konzentriert. Das ist keine Ruhe vor dem Sturm, sondern die letzte Reise des alten Mannes.

In diesem Bild liegt Selbstverständlichkeit: Die Jugend trägt die Vergangenheit traditionsgemäß auf den Schultern und rettet so die Erinnerung vor dem Vergessen. Keinesfalls bringt er da die Kultur zu Grabe; im Gegenteil, denn durch die Tradition lebt die Kultur in den Generationen weiter. Dieses Bild schafft eine Rahmenhandlung für die einzelnen lyrischen Episoden, wirft aber gleichzeitig einen neuen Blick auf den Umgang mit Literatur, insbesondere der Poesie. Fest steht, dass die Lesebereitschaft – und das einmal ganz abgesehen von Harry Potter – aufgrund von einer übergroßen Reizüberflutung durch andere Medien, immer weiter sinkt und damit die Magie, die in Literatur steckt, ihren Zauber verliert. Denn so wie diese zwei Menschen sich in einer ruhigen Natur bewegen müssen, um ans Ziel zu kommen, muss auch die Lyrik mit ihrer einsamen Stellung als literarische Gattung auskommen.

Eindrucksvolle Bilder

Ralf Schmerbergs Film führt mit seinen wunderbaren Bildern den Gegenbeweis für diese zur Randexistenz verdammte literarische Gattung. Mit unterschiedlichen international renommierten Kameraleuten und Schauspielern hat Schmerberg an vielen Orten dieser Welt neunzehn deutschsprachige Gedichte des 20. Jahrhunderts von Ingeborg Bachmann bis Heiner Müller in bewegte Bilder gebracht. Er verbindet die Kräfte von Film mit der Magie, die von diesen Texten ausgeht. Zwischen surrealistischen und realistischen Szenen ist dabei alles zu finden. Paul Celans Tonbandaufnahme seines Gedichts "Tenebrae" wird mit Bildern einer Karfreitagsprozession in Andalusien unterlegt, oder Hochzeitskleider entzünden sich auf einmal, während Richy Müllers Stimme ein Gedicht von Heiner Müller vorträgt. Die dabei entstandene Atmosphäre steht aber nicht unbedingt im Kontrast zu den Aussagen der Texte, sondern geht eine enge Beziehung miteinander ein.

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Fazit:
Ralf Schmerberg ist mit diesem Film ein wunderbares Geschenk an die Zuschauer geglückt. Man würde sich mehr von solchen Filmen wünschen! Durch die gelungene Verbindung von Bildern, 19 verschiedenen Gedichten und Musik, die er in eine ganz eigene – ebenfalls poetischen – Geschichte der letzten Reise eines Mannes eingebunden hat, entstand eine Alternative zu den vielen Hörbüchern, die in den letzten Jahren begonnen haben, den Markt zu überschwemmen. Leider ist die DVD nur über Lingua-Video für den sehr hohen Preis von 59 Euro zu beziehen. Das ist bedauernswert, sollte aber nicht vom Zuschauen abhalten, denn der Film ist wirklich lohnenswert.

Zum Regisseur:
Ralf Schmerberg wurde am 28. Januar 1965 in Stuttgart geboren. Der eigentliche Fotograph, der sich dem Medium Film autodidaktisch genähert hat, gründete 1994 zusammen mit "Eva" Sigrid Maier-Schönung die Produktionsfirma "Trigger Happy Productions". Seitdem hat er sich vor allem in der Musik- und Werbebranche als Regisseur einen Namen gemacht. Für 2raumwohnung, Fanta 4 und die Toten Hosen drehte er Videoclips. Es entstanden aber auch erste Spielfilme, wie z.B. "Hommage à Noir", die viele Auszeichnungen erhalten hat und u.a. auch für den UNESCO Award nominiert war.

Zum Film:
POEM –
Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug

ott-Film
Regie: Ralf Schmerberg
Drehbuch: Antonia Keinz
Länge: 91 Minuten
Kinostart: 8. Mai 2003
mip
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Artikel vom 18. Januar 2006

Weiterführende Links
- Link zum Film: www.poem-derfilm.de

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