C6 MAGAZIN
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LESELAND KOREA 3.12.2005

"Ein Geschenk des Vogels" von Eun Heekyung

Der Roman spielt in den 60er Jahren in einem kleinen, koreanischen Dorf. Es geht um Jinhi! Ein 12 jähriges Mädchen, das sich intensiv mit dem Erwachsenwerden auseinander setzt und dabei die alten, traditionellen koreanischen Werte und Hierarchien für sich in Frage stellt. Und nur nach außen hin, ist Jinhi ein ganz normales, heranwachsendes Mädchen…

© PENDRAGON VERLAG
In ihrer inneren Welt sieht es nämlich ganz anders aus. Sie teilt sich einfach in ein sichtbares, "äußeres Ich" und in ein "sehendes Ich", das die Situation von oben betrachtet und auch einfach abschalten kann, wenn etwas unangenehm wird. Jinhi lebt bei ihrer Großmutter und ihrer jungen Tante. Als Kind wurde sie von ihrer Mutter an einen Pfahl gebunden und verlassen. Die Mutter kam in die Psychiatrie und brachte sich dort um. Dieses traumatische Erlebnis zieht sich jedoch nur unterschwellig durch ihr Leben. Sie hat wohl beschlossen, die Schwachstelle "Emotionalität" in sich zu besiegen.

Jinhis Welt - ganz und gar nicht kindlich

Ihr kindliches, unschuldiges Aussehen ermöglicht es Jinhi, die Geheimnisse des Lebens von den Erwachsenen hervor zu locken. Sie unterschätzen sie einfach. Und das nutzt Jinhi selbstbewusst, aufgeweckt und mit einem scharfen Urteilsvermögen geschickt aus, um ihr Wissen zu erweitern und dann analytisch und zynisch in ihre Lebensweisheiten einzubauen. Mit viel Fantasie und berechnender Bosheit, führt sie die Menschen, die in ihrem Dorf leben vor, bringt sie in unangenehme Situationen, damit sie dann die Gesichtszüge von Schmerz oder Demütigung studieren kann.

Die Autorin beschreibt durch Jinhis Augen einfühlsam und mit einer unbarmherzigen Genauigkeit, die Menschen, die in ihrem Dorf leben, ihre Schicksale, ihre Entwicklungen und Rückschritte. Dabei arbeitet die Autorin die typischen Charaktermerkmale so heraus, dass der Leser sie, so oder ähnlich in seiner Umgebung wieder findet.

Das Moderne in einem kleinen Dorf

Die akribischen Alltagsbeschreibungen veranschaulichen, wie die Zeit, das Eintreten von Moderne in das Dorfleben, von gewöhnlichen, kleinen Leuten erlebt wurde. Ein Gesellschaftsportrait. Das Politische wird nicht ausdrücklich in ihrem Roman hervorgehoben. Eun Heekyong lässt die entstehende Moderne der 60ern in den Handlungsablauf einfließen. So lässt sich Jinhis Tante Yongoks die Augen operieren, Jinhis erste große Liebe Sok ist in der Studentenbewegung, ihr Onkel geht zum Militär und Yongok bricht ihre Schwangerschaft ab. Jinhi geht auch der Sexualität auf den Grund. Sie lässt sich nicht verbieten, zu forschen und zu lesen. Jinhi glaubt, dass gerade die Unwissenheit die jungen Frauen, nach ihrem ersten Mal, ewig an einen Mann binden.


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Fazit: Wer einen Entwicklungsroman erwartet, wird enttäuscht. Der Überschrift des ersten Kapitels: "Von meinem zwölften Lebensjahr an, musste ich mich nicht mehr weiter entwickeln" ist Programm. Die kindliche Erzählperspektive, wird anders als bei den meisten Autoren nicht dazu genutzt, die Erwachsenenwelt befremdlich dar zu stellen, sondern um sie klar zu reflektieren und realistisch zu bewerten. Jinhi zeigt die Scheinheiligkeit der Erwachsenwelt auf, und stellt Gleichaltrige bloß, die diese Welt stetig imitieren. Der Roman ist wie ein Mosaik zusammengesetzt. Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit werden episodenhaft erzählt, und müssen nicht chronologisch angeordnet sein, um die Handlung zu verstehen. Die launenhafte Boshaftigkeit von Jinhi schreckt manchmal ab, manchmal fasziniert sie. Manches wird zu vulgär, zu extrem, aber man leidet auch mit ihr. Ein spannendes Buch, mit herausragender Ehrlichkeit, die zum "Darüber Reden" einlädt.

Zur Autorin: Eun Heekyung ist 1959 geboren und studierte koreanische Literatur in Seoul. Erst mit Mitte Dreißig hatte sie hier literarisches Debüt. Eun sagt dazu: "In den 80ern hätte ich nichts zu schreiben gehabt. Wie hätte ich meine Stimme erheben können, wo mir doch in meinem Leben nichts Außergewöhnliches geschehen ist und ich weder historisch noch biographisch Leid erfahren musste?" 1995 wurde sie für ihren Roman "Ein Geschenk des Vogels" mit dem Munhakdongne- Preis ausgezeichnet und avancierte in kurzer Zeit zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Koreas. Eun Heekyong rückt bewusst Alltagsgeschehen und individuelles Erleben in das Zentrum ihres Schreibens, auch um sich der Schwere und starren Ernsthaftigkeit koreanischer Literatur zu entziehen.

Zum Buch:
Ein Geschenk des Vogels
Eun Heekyong

Pendragon Verlag
erschienen März 2005
Koreanische Edition
ISBN 3-86532-015-5
320 Seiten, Festeinband

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Artikel vom 3. Dezember 2005

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- Pendragon Verlag: http://www.pendragon.de
- Literatur Korea: http://www.korea-literatur.de

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