C6 MAGAZIN
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POPLITERATUR 17.9.2005

Umstrittenes Quintett

Im April 1999 entstand auf dem Höhepunkt der damailgen Popliteraturbewegung, das wohl umstrittenste Werk dieser periode: "Tristesse Royale". Fünf Autoren erhoben sich zu den Sprechern ihrer Generation und stießen damit auf harsche Kritik von vielen Seiten. Ein Überblick.
Am 24. April trafen sich 5 Menschen im Berliner Nobelhotel Adlon am Brandenburger Tor und kreierten das, was man als den Höhepunkt und gleichzeitig auch als das umstrittenste Werk der Popliteratur der 90er Jahre bezeichnen kann. Diese 5 Menschen nannten sich das "popkulturelle Quintett" und waren Christian Kracht, der 1995 mit seinem Roman "Faserland" diese Popliteraturbewegung in Deutschland begründete, Benjamin von Stuckrad-Barre, der ihr prominentester Vertreter wurde, Alexander von Schönburg, Dr. Eckhart Nickel und Joachim Bessing, der Initiator dieses Treffens, der die Gesprächsmitschnitte transkribieren, redigieren und schließlich unter dem Titel "Tristesse Royal" veröffentlichen wird. Das Ziel war "am Sonntag abend ein Sittenbild unserer Generation modeliert zu haben", wie Joachim Bessing im Vorwort angibt. Das klingt viel einfacher, als es ist. Man kann schon beim Begriff "Generation" einhaken und Stundenlang darüber diskutieren, ob es so einen Begriff, gerade in den von Stilvielfalt geprägten 90ern überhaupt gegeben hat bzw. geben kann. Und nehmen wir der Einfachheit halber an, die Verwendung eines solchen Begriffs sei in Ordnung, zeugt es nicht von Arroganz, wenn diese Fünf sich anmaßen, sie könnten für eben diese ganze Generation sprechen?

Letztlich tut das Quintett nichts anderes als sich in eine Suite im Adlon zu setzten und ihre Ansichten auszutauschen. Im Zentrum ihrer Kritik steht hier die Gegenwartskultur, die ihrer Meinung nach entscheidend von der gleichmacherischen Selbstverwirklichungskultur der sechziger und siebziger Jahre geprägt ist und- vor allem- die völlige Ironisierung, die aus der Subkultur den Weg in das Universelle gefunden hat. Natürlich, wie bei den beteiligten Autoren auch nicht anders zu erwarten, passiert das vorwiegend im Gespräch über Marken, Stil und Popkultur. Die Ästhetik regiert, steht über allem, ihr Fehlen wird sogar als Grund für die Politikverdrossenheit gesehen. Alles soll, alles muss den ästhetischen Ansprüchen der Autoren genügen. Das mag eine einfache Betrachtungsweise sein, aber für die Gesprächsrunde funktioniert sie.

Der Rock als Ausweg

Aber es gibt auch einen Ausweg aus dem großen Feind, der Totalen Ironie, und dieser Ausweg ist der Rock. Man spricht über das Re-Modelling, der Imageanpassung eines Künstlers hin zu modernen Trends, die, wie Eckhart Nickel erklärt, entweder zum "Aufgehen in der neuen totalen Gegenwart" oder "in die absolute Bedeutungslosigkeit und die Unbeachtetheit" führt und findet als Gegenpart den Rock, das Nicht-Relativierte, die Substanz, eben das nicht Re-Modelbare. Der Rock ist ein Ausweg, aber nicht für das popkulturelle Quintett, wenn es auch noch so sehnsüchtig davon spricht. Dieses ist nämlich tief in der Ironie gefangen und sich dieser Tatsache auch bewusst. So nehmen die Mitglieder der Runde ständig Positionen ein, nur damit diese dann- ironisch- wieder relativiert werden. Medienwirksam im Adlon sitzend erwägt man dieses als eine der – Zitat - "Stätten des Falschen von innen heraus" zu zerbomben und wenn im letzten Kapitel des Buches Bessing und Kracht nach Phom Penh verschwinden, stehen sie selbst dort am Ende inmitten einer Filmkulisse, und somit im Zentrum medialer Aufmerksamkeit. Ein Teufelskreis.

Das alles passiert mit der diesen Autoren eigenen Arroganz und auch deshalb hat das Buch, wie so viel Anderes aus dieser Popliteraturbewegung auch, polarisiert. Man mag es oder man hasst es, ein Zwischending erscheint fast nicht möglich. Der Kritikpunkte gab es viele, gut nachzuvollziehen in den beiden Sekundärwerken "Von Acid nach Adlon und zurück, Eine Reise durch die deutschssprachige Popliteratur" von Johannes Ullmaier und in Moritz Baßlers "Der deutsche Poproman".

Die einen, unter ihnen Ullmaier, bemängeln das fehlen wirklichen Inhalts über Provokationen, Stil-Richtsprüche oder längst erschöpfte Debatten und konservative Kulturkritik hinaus. Auch der Anspruch, ihre Generation mit ihren Ansichten zu vertreten, stößt auf Gegenwehr, wie der Einspruch vieler anderer Autoren zeigt. Natürlich hatte auch der Feuilleton seine Meinung, und zwar zeigte sich dieser besorgt ob der Pose, die das Quartett einnimmt, der ästhetisch begründeten antipolitischen Haltung oder besonders auch der geäußerten Sehnsucht nach Zuständen wie vor dem ersten Weltkrieg.

Das alles sind Kritikpunkte, denen man zustimmen könnte, alle diese Kritiker machen aber einen entscheidenden Fehler: Sie nehmen "Tristesse Royale" zu ernst und betrachten nur die Oberfläche. Wie zum Beispiel auch Baßler darlegt, besteht dieses Buch nämlich eben nicht aus konsequent ernsthaften Aussagen – dann wäre eine besorgte Diagnose, wie die oben angegebene durchaus angebracht – sondern ist als Performance zu sehen. Die fünf Popliteraten inszenieren sich selbst und ihre Ansichten und veröffentlichen diese auch schon rein formal in Form eines Theaterstücks, inklusive Regieanweisungen. Diese Regieanweisungen sind auch im Buch selbst der deutlichste Hinweis auf dessen zum Teil fiktionalen Inhalt, hier wird sogar das Surreale gestreift. Da gibt es zum Beispiel eine Stelle, in der Eckhart Nickel sich laut Regieanweisung in Barbara Streisand und wieder zurück verwandelt, die Ernsthaftigkeit wird also im Buch selbst aufgebrochen. Gefangen in der Ironie.

"Tristesse Royale", ein Porträt einer Generation oder doch nur die Absonderungen arroganter Wichtigtuer, die eigentlich nichts zu sagen haben, dass aber wortgewaltig und eloquent tun? Das bleibt Ansichtssache, entweder man mag diese Art Popliteratur oder nicht. Das Lesen des Buches lohnt aber in jedem Fall – und sei es, um es nachher zu hassen.


Im Artikel wird aus folgenden Büchern zitiert:

Joachim Bessing, "Tristesse Royale, Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad- Barre"

Moritz Baßler, "Der deutsche Poproman, Die neuen Archivisten"

Johannes Ullmaier, "Von Acid nach Adlon und zurück, Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur"
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Artikel vom 17. September 2005

Tristesse Royale

von Joachim Bessing.
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