C6 MAGAZIN
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KINO 6.10.2006

Die andere Seite der Medaille

Sönke Wortmann präsentiert in seinem mit Spannung erwarteten Dokumentarfilm "Deutschland - Ein Sommermärchen" die Fußballweltmeisterschaft in diesem Sommer aus einer ganz anderen Perspektive, der der deutschen Mannschaft. Heraus kommt ein Film, der in der Präsentation des Gemeinschaftsgefühls durchaus über einen normalen Dokumentarfilm hinausgehen kann.
Bundestrainer Jürgen Klinsmann peitscht die Mannschaft auf
© KINOWELT
Bundestrainer Jürgen Klinsmann peitscht die Mannschaft auf
Die erstaunlichste Reaktion die "Deutschland – Ein Sommermärchen", die Dokumentation von Sönke Wortmann über die deutsche Nationalmannschaft während der WM im eigenen Land, hervorruft, ist verbunden mit einem Blick in den Kalender ein "Och! Zwei Monate ist das erst her?" Vor ziemlich genau zwei Monaten nämlich fand in Berlin das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft statt, mit Italien als Gewinner und einem Ausraster von Zinedine Zidane, der ihn in seinem letzten Spiel unsterblich machte, wenn auch vielleicht nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte. Zwei Monate ist es auch her, dass die deutsche Mannschaft im "kleinen" Finale gegen Portugal einen sensationellen, ihr von den Wenigsten zugetrauten dritten Platz belegte und sich Tags darauf von einer Million Menschen vor dem Brandenburger Tor feiern ließ. Und schließlich ist es nun auch zwei Monate her, seit hier in Deutschland ein nicht für möglich gehaltener Wahnsinn zu Ende ging, mit Menschenmassen, die die schwarz-rot-goldene Fahne schwenkend vor Großbildleinwänden die Spiele der deutschen Mannschaft verfolgte, ansonsten friedlich mit den Fans der anderen Mannschaften feierte, wie viele Politiker meinten, endlich wieder Stolz auf das Heimatland und die für das Gelingen der angekündigten "Reformen" notwendige gute Stimmung entwickelte, die "Bild"-Zeitung ihre Titelseite mit den Landesfarben einrahmte und so weiter…

"Poldi" und "Schweini" machen den Clown und freuen sich über den dritten Platz
© KINOWELT
"Poldi" und "Schweini" machen den Clown und freuen sich über den dritten Platz
Ja, das alles ist erst zwei Monate her, es kommt einem aber viel länger vor, denn so gut die Stimmung während der WM auch war, inzwischen ist wieder Normalität eingekehrt, die Gäste aus aller Herren Länder sind wieder heim gefahren, die meisten Fahnen sind verschwunden und der vermeintliche Zukunftsoptimismus hat sich genauso in Luft aufgelöst, wie die Feuilleton-Debatten über den neuen Nationalstolz und das singen der Hymne. Ja sogar beim Fußball ist alles wieder beim alten, die Bundesliga hat wieder angefangen und die meisten der im letzten Sommer gefeierten Helden zeigen eher durchwachsene Leistungen.

Mitten in diese Normalität kommt jetzt aber Sönke Wortmanns "Deutschland – Ein Sommermärchen". Der Regisseur, selber mal ein ziemlich guter Fußballer, hatte nach seinem letzten Werk, dem pathetischen "Das Wunder von Bern" beim DFB angefragt, ob er die deutsche Nationalmannschaft während der WM mit seiner Kamera begleiten dürfe. Vorbild dafür war ein Film, der die französische Mannschaft bei der WM 1998, ebenfalls im eigenen Land, auf dem Weg zum Titel mit der Kamera begleitet hat. Man probierte es 2005 beim Confederations Cup aus, stellte fest, dass es Team und Betreuer nicht stört, und so konnte das Projekt beginnen. Wortmann hatte Zugang zu Trainingsgelände, Mannschaftshotel, Bus und sogar der Kabine und seine Kamera immer dabei. Ergänzt um Außenaufnahmen von Tom Tykwers Hauskameramann Frank Griebe, soll in der Dokumentation eben die Innenansicht dargestellt – wenn man so will die andere Seite der Bronzemedaille: die WM aus der Sicht des Teams.

Der freundliche Blick ins Innere

Dabei ist Wortmann nur bedingt investigativ. Es geht ihm nicht darum, eventuelle Skandale, Konflikte in der Mannschaft oder ähnliches aufzudecken. Es gibt nur zwei Momente im Film, wo so etwas wie ein Konflikt überhaupt aufkommt, zum einen eine taktische Diskussion zwischen Lehmann und Ballack, zum anderen ein Mannschaftsgespräch darüber, ob und wo man sich nach dem Spiel um Platz drei den Fans zeigen soll. Es sind zwei der spannendsten Szenen des Films, gerade die zweite entblößt aber auch Wortmanns Arbeitsweise. Denn hier zieht er sich mitten in der Diskussion zurück, hat die Kamera ausgeschaltet oder zumindest die entsprechenden Stellen herausgeschnitten. Der Konflikt wird ausgeblendet und man weiß nicht, ob es nicht auch noch andere, vergleichbare Situationen gegeben hat, die dann aber nicht den Weg in den fertigen Film gefunden haben. Es geht Wortmann hier eher darum, die Mannschaft tatsächlich als Einheit, als eingeschworenen Haufen zu präsentieren, der sich hochinteressiert die taktischen Erläuterungen von Co-Trainer Jogi Löw und eher abwesend die motivierenden Aufpeitschungen von Trainer Jürgen Klinsmann anhört, als Einheit, die nur zusammen zum Erfolg kommt und in der es keinen oder zumindest kaum Streit gibt.

Party on: Die Mannschaft beim feiern in der Kabine nach dem Sieg gegen Polen in allerletzter Sekunde
© KINOWELT
Party on: Die Mannschaft beim feiern in der Kabine nach dem Sieg gegen Polen in allerletzter Sekunde
Genau das ist auch der Grund, warum "Deutschland – Ein Sommermärchen" über eine gewöhnliche Dokumentation hinausgeht. Man erfährt kaum etwas Neues in diesem Film, man sieht nur die Ereignisse des letzten Sommers aus einer anderen Perspektive. Der Film funktioniert weniger informativ als emotional. Er rekapituliert noch einmal die Stimmung während der WM, die Begeisterung, das Zusammengehörigkeitsgefühl, indem er sie zum einen noch einmal in Erinnerung ruft - sie scheint ja in der Tat, wie erwähnt, schon Ewigkeiten her zu sein - und sie zum anderen auch bei der Mannschaft zeigt, dem eigentlichen Gegenstand der Begeisterung und dem Quell des neuen Zusammengehörigkeitsgefühls, das sich wiederum selbst durch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl auszeichnet. Natürlich darf man auch hier nicht außer Acht lassen, dass die Kamera dabei ist, die Spieler sich deren Gegenwart bewusst gewesen sein werden, auch wenn man es ihnen nicht anzumerken scheint. Man wird daher nie erfahren, ob das Team wirklich so ein geschlossener Kreis war, weil immer die Möglichkeit in Betracht gezogen werden muss, dass entsprechende Szenen herausgeschnitten worden sind oder, schon vorher angesetzt, die Spieler sich, im Bewusstsein der Kamera von vornherein harmonisch präsentieren wollte.

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Deutschland – Ein Sommermärchen
Deutschland, 2006
Regie: Sönke Wortmann
Kamera: Sönke Wortmann, Frank Griebe
108 Minuten
FSK: Ohne Alterbeschränkung
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Artikel vom 6. Oktober 2006

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