C6 MAGAZIN
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FILM 24.6.2006

Blut und Terror im modernen Kino

Gewalt im Film bewegt nicht erst seit kurzem die Gemüter. Seit Ende der 1960er Jahre nimmt der Realismus im Kino stark zu und provoziert durch exzessive Gewaltdarstellungen die Zensur. Welche Rolle aber spielt Brutalität im Film? Eine kurze Geschichte der Gewalt im zeitgenössischen Kino.
Reservoir Dogs
© NEW LINE CINEMA
Reservoir Dogs
Als "Reservoir Dogs", der erste Film von Quentin Tarantino, 1992 auf dem Sundance Filmfestival uraufgeführt wurde, spaltete die im Film erzählte Geschichte eines missglückten Juwelendiebstahls mit seiner ungewohnt brutalen Inszenierung das Publikum. Besonders die Szene, in der einem Polizisten das Ohr abgeschnitten wurde, sorgte für heftige Diskussionen, die in der Frage mündeten, ob Gewalt so explizit dargestellt werden durfte, wie es der junge Regisseur hier tat.

Heute steht fest, dass Tarantinos Debüt und sein Folgewerk "Pulp Fiction" einen entscheidenden Einfluss auf die Präsentation von Gewalt im zeitgenössischen Film ausübten und Bezugspunkt für zahlreiche andere Filme wurden. "Natural Born Killers", "Fight Club", "Saw" und viele andere Filme waren und sind in ihrer Darstellung physischer Gewalt für das Mainstreamkino durchaus grenzwertig. Dabei bestätigt der Blick auf Kinohits der vergangenen Jahre die These, dass Gewalt im Spielfilm längst zur Normalität geworden ist.

Hollywood erfindet sich neu

In den vergangenen Jahren scheint das Kino einen unstillbaren Durst nach Gewalt entwickelt zu haben. Man könnte in Einzelfällen sogar von einem cinematographischen Verlangen nach Blut und Aggression sprechen. Eine Sucht, die in zahlreichen für die Leinwand inszenierten Gewaltorgien befriedigt wurde.

Bonnie ((Faye Dunaway) und Clyde (Warren Beatty) schießen sich den Weg frei
© WARNER BROS.
Bonnie ((Faye Dunaway) und Clyde (Warren Beatty) schießen sich den Weg frei
Um diese Entwicklung begreifen zu können, muss man in der Kinogeschichte fast ein halbes Jahrhundert zurückgehen. Genauer gesagt bis ins Jahr 1967. In diesem Jahr nämlich sorgte ein Film für Aufsehen, der gemeinsam mit einigen anderen seiner Zeit die Filmlandschaft nachhaltig prägen sollte. "Bonnie und Clyde" von Arthur Penn war viel mehr als ein klassischer Gangsterfilm. Denn die Geschichte eines Outlaw-Pärchens, das im Amerika der 1930er Jahre mit brutalen Banküberfällen berüchtigt wurde, strotzte nur so von Gewalt. Die berühmte Schlussszene, in der das Gangster-Paar im Kugelhagel durchsiebt wird, sorgte für Furore. Bis zu diesem Zeitpunkt war es üblich gewesen, zwischen dem Schuss auf eine Person und ihrem Getroffenwerden anstandsgemäß einen Schnitt zu machen; "Bonnie und Clyde" aber gab den Blick schonungslos frei auf Tod und Gewalt.

Penns Film schockierte auf seine brutale und realistisch Art und ließ den Zuschauer die Brutalität gewissermaßen am eigenen Leib erfahren. Nur drei Jahre später setzte Sam Peckinpah mit seinem Western "The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz" diesen Weg fort. Er stilisierte seine gewalttätigen Figuren zu Helden und nahm dem Western sein bis dahin glattes Image. Die Cowboys im Kino der 1970er Jahre hatten ihre Hand genau so schnell am Abzug, wie die Whiskey-Flasche am Mund. Sie trugen zerknitterte Hüte und staubige Mäntel. Vergessen waren die Zeiten, in denen John Wayne mit gescheitelter Frisur und adrettem Halstuch Bösewichter zur Strecke brachte. New Hollywood machte das Kino schmutzig, laut und realistisch.

Die Renaissance des Horrorfilms

Seit "Bonnie und Clyde" das erste Mal gezeigt wurde, sind inzwischen beinahe vierzig Jahre vergangen. In dieser Zeit wurden im Kino hunderte Gliedmaßen abgetrennt und tausende Körper von Kugeln durchlöchert. Neben dem klassischen Thriller bedient sich dabei vor allem ein Genre der expliziten Gewaltdarstellung, das man lange für tot gehalten hatte: der Horrorfilm. Anfang der 1970er Jahre sorgten einige Filme um mordende Psychopathen für enorme Erfolge, darunter George A. Romeros "Night of the Living Dead", der eine bis heute anhaltende Zombie-Welle in Gang setzte, und John Carpenters "Halloween”, der den Grundstein für den klassischen Slasher-Film legte und ebenfalls noch heute zahlreiche Nachahmer findet. "Hostel”, "The Hills have Eyes” und "The Ring” sind nur einige Beispiele dafür, wie stark der Horrorfilm heute in der Filmlandschaft verankert ist. Das Spiel mit der Angst spült dank regelmäßiger Remakes und Sequels Millionen in die Kinokassen.

Action, Thriller, Krieg

Als Stilmittel fand Gewalt über den klassischen Thriller Zugang in das moderne Mainstreamkino. Der Zuschauer sollte schockiert und mittels der Brutalität visuell in den Bann gezogen werden. Gewalt wurde realer und fassbarer. Gleichzeitig ließ sie die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion immer mehr verschwimmen. Dabei wurde Gewalt nicht selten zum Selbstzweck, wie in "Ein Mann sieht rot", der mehrfach auf dem Index stand und "Dirty Harry", dem Verherrlichung von Selbstjustiz vorgeworfen wurde.

Das Böse schlechthin: Michael Myers
© COMPASS INTERNATIONAL PICTURES
Das Böse schlechthin: Michael Myers
In den 1980er Jahren waren Brutalität und Action ein Garant für ausverkaufte Kinos. "Rambo", "Terminator" und "Stirb langsam" standen für ein fast 20 Jahre lang anhaltendes Erfolgsrezept Hollywoods. Dass Gewalt dabei in zunehmender Weise verharmlost und der Tod vom subjektiven Empfinden seltsam entrückt zu sein schien, war mit Sicherheit die entscheidende, negative Auswirkung die diese Art von Kino mit sich brachte.

Aber Gewalt war auch immer wieder Stoff für kritische Blicke auf die Geschichte und unsere Gesellschaft. Es gibt fast keinen großen Regisseur, der sich nicht an diesem Genre versuchte: Stanley Kubrick mit "Wege zum Ruhm" und "Full Metal Jacket", Oliver Stone mit "Platoon", Terence Malick mit "Der schmale Grat", Steven Spielberg mit "Der Soldat James Ryan". Die Darstellung sinnlosen Tötens als moralischer Appell an die Menschlichkeit.

Eine Geschichte der Gewalt

Auch einige Filme der jüngeren Zeit befassen sich differenziert mit dem Gewaltbegriff. "A History of Violence" von David Cronenberg rekonstruiert den Lebensweg des Normalbürgers Tom Stall, der ein düsteres Geheimnis vor sich und seiner Familie zu verstecken sucht und so aufzeigt, wo Gewalt ihre Wurzeln hat und was sie verursachen kann. Subtiler geht Gus van Sants großartiger Film "Elephant" an das Thema heran, der sich inhaltlich an das Schulmassaker von Littleton anlehnt. Mit langen Einstellungen fängt der Regisseur die letzten Momente mehrerer Kinder an einer amerikanischen Highschool ein, bevor sie dem brutalen und willkürlichen Amoklauf zweier Mitschüler zum Opfer fallen.

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Artikel vom 24. Juni 2006

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