Flic Flac - Ein Circus der besonderen Art. Der Circus Flic Flac tourt im Sommer 2006 mit dem Programm "New Art 2006" quer durch Deutschland. Wie ist das Leben in einem Circus? Der Hochseil-Artist Carlos berichtet vom Leben zwischen Circuszelt und Wohnmobil. |
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© FLIC FLAC |
Das gewaltige Zelt des Circus Flic Flac
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| | Auf dem Weg durch Kassel Anfang Juli fällt mein Blick auf ein großen schwarzes Plakat. In gelben Buchstaben steht geschrieben: "Flic Flac - Die moderne Circus-Show". "Modern" - ist das eine Warnung? Ja, sicher ist es eine Warnung, als potentieller Besucher sollte man sich also beim ersten Blick auf das Plakat überlegen, wie man selbst "modern" definieren würde. Was ist man für ein Typ, der "moderne" oder der konservative? Wer Circusdirektor, Schwert- oder Feuerschlucker erwartet, wäre eher der letzten Spezies zu zuordnen und ist sicher nicht die Zielgruppe des Flic Flac. Zwei Minuten später taucht das Circuszelt am Horizont auf.
"Hello" begrüßt mich Carlos mit gebrochenem Englisch. Ich bin mit ihm zum Interview verabredet. Der kleine Mann trägt eine gelbe Dreiviertelhose und passend dazu ein gelbes T-Shirt. Wir sitzen in der Cafeteria des durch die Sonnenstrahlen stark erwärmten Zeltes. Ihm steht der Schweiß auf der Stirn. Er beginnt zu erzählen, dass er als Hochseilartist arbeitet.
Nach fünf Stunden ist die Nacht vorbei
Nachdem Carlos am Vorabend wieder eine geniale Show hingelegt hat, ist sein Tag gegen Mitternacht beendet. Erschöpft lässt er sich in die Coje seines Wohnmobils fallen. Er sieht fern. Sein Wohnmobil ist perfekt ausgestattet, denn hier lebt er 300 Tage im Jahr – wenige Stunden später klingelt der Wecker schrill, erschrocken fährt er hoch, es ist fünf Uhr morgens. Carlos muss sich beeilen, denn er ist nicht nur Artist, sondern auch Familienvater und Trainer des Trios, mit dem er später auftritt. Nach einem starken Kaffee trainiert er in drei Stunden zuerst seine beiden Töchter und dann seinen Neffen. Beide Töchter müssen um neun Uhr in die Circus-Schule. Sie befindet sich in einem der vielen Lastwagen, die ebenfalls gelb-schwarz lackiert sind. Sie sind bei jedem Auftritt, an jedem Ort in Deutschland dabei.
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Pressefoto:Gewagte Turnübungen im Circus Flic Flac.
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Der Unterricht ist auf Deutsch und die Schüler können nach zehn Schuljahren ihren Schulabschluss erwerben. Wenn die Kinder in der Schule sind, trainiert Carlos selbst seine eigene Nummer, immer mit dem gleichen Ziel vor Augen: die Nummer immer weiter zu optimieren. Er wird sie zwei Jahre lang deutschlandweit aufführen. Wenn er sich bis dahin eine neue "Nummer" überlegt hat, darf er bleiben, sonst muss er sich einen neuen Arbeitgeber suchen. Der Circusdirektor Benno Karsten bewertet seine Nummer kritisch. Er entscheidet über Kleidung und Soundeffekte und sorgt damit für einen reibungslosen Ablauf der Show. Er hat den Circus neu erfunden - ohne Ansagen oder Tiervorstellungen.
Carlos ist von klein auf dabei
Gegen 13 Uhr trifft sich die Familie zum gemeinsamen Mittagessen in ihrem Haus auf Rädern. Das Reisen empfindet Carlos nicht als Belastung, sondern als Bereicherung für die Familie.Nach eigener Aussage liebt er sein Leben. Carlos sieht zu seiner achtjährigen Tochter Joana, die ihm gegenüber am Tisch sitzt. Auch sie will Artistin werden und beginnt schon mit kleinen Kunststücken. Er sieht sie an und errinnert sich an seine eigene Kindheit. Der 44-Jährige ist in Kolumbien aufgewachsen. In dem Circus seines Stiefvaters sammelt er schon früh Erfahrungen als Clown, Moderator und Akrobat. Später soll er Circusdirektor werden. Nach vielen Auftritten entscheidet er sich gegen den Willen seines Stiefvaters endgültig für die Hochseilakrobatik.
Nachmittags trainiert er mit seinen Töchtern und seinem Neffen noch einmal eine Stunde. Obwohl das Training hart und schwierig ist, sind alle nicht so ernst wie abends während der Show. Die Hochseil-Nummer wird auf einem tiefer hängenden Seil geübt. Alles wird sehr genau geübt, Fehler werden absichtlich gemacht, um zu beobachten was passiert. Auch das Fallen oder abrutschen vom Seil wird trainiert. Das Training macht alle sicherer.
Eine Stunde vor Beginn der Show findet sich das Trio Camadi - so nennen sich Carlos, sein Neffe und sein Cousin - wieder zusammen. Alle versuchen sich zu beruhigen und zu entspannen, denn ein Fehler könnte tödlich sein. "Wir sind keine Maschinen, sondern Menschen, aber wenn man Angst vor dem Seil hat, sollte man aufhören." Carlos selbst hatte schon mehrere Unfälle, er zeigt mir während des Gesprächs mit verzerrtem Gesicht eine Narbe am Fuß. Seines Berufsrisikos ist er sich bewusst, er lebt damit.
It's showtime
Es ist halb neun, kurz vor der Show. Alle sind gespannt. Sie hören wie sich das Zelt langsam füllt. Auch nach Jahren der Erfahrung ist das Trio Camadi die ersten fünf Minuten vor der Show nervös. Trotzdem freuen sich alle auf einen neuen Auftritt. Carlos lehnt sich zurück, er hat noch Zeit. Unter seinen Kollegen ist auch Clown Barto. Er ist einer derjenigen, die vor dem Trio auftreten. In seiner aktuellen Nummer beschäftigt er sich mit dem Volumen eines Kleiderbügels. Er testet es im Selbstversuch. Während der gesamten Nummer, bei der sich der gelenkige junge Mann den Kleiderbügel über den Kopf hängt, und sich auf umständliche Weise hindurch zwängt,spricht er kein Wort. Alles geschieht über Pantomime und Gestik. Als er sich den Bügel bis zur Hüfte gezogen und ihn herumgedreht hat, ist er über die neue Größe seines "Dings" sehr erfreut. Die Zuschauer brechen in großes Gelächter aus. Am Ende ist er froh den Kleiderbügel los zu sein.
Später, erst kurz vor Ende der Show ist das Trio an der Reihe. Carlos besteigt das Seil, die Aufregung ist wie weggeblasen. Carlos balanciert mit Hilfe einer langen Stange über das Seil. Sie hilft ihm das Gleichgewicht zu halten. Jedem anderem würde schlecht werden beim Laufen auf dem Seil, denn es ist in einer Höhe von zwölf Metern angebracht, doch Carlos überquert es mit einer schwebenden Leichtigkeit. Er ist hochkonzentriert, unbeeindruckt von Publikum, Lichteffekten und Musik, und setzt auf dem 16 Millimeter dicken Seil langsam einen Fuß vor den anderen.
Stockender Atem im Publikum
Nach einigen Minuten hat er es geschafft, er ist drüben, auf der anderen Seite der Zeltkuppel. Jetzt kommt der schwierigste Teil. Er geht mit einem Springseil zur Mitte und springt. Ein Sprung, noch ein Sprung, und jetzt? Das Seil gleitet ihm aus der Hand und knallt in zwölf Metern Tiefe auf das Luftpolster. Im selben Augenblick verliert Carlos das Seil unter den Füßen,er rutscht ab und fällt. Plötzlich hängt er nur noch mit einem Arm am Seil. Er hangelt sich am Seil entlang, am Ende angekommen gibt ihm ein Techniker das Seil zurück. Der erneute Versuch gelingt ohne Komplikationen.
Nach Ende der Nummer ist das Publikum schwer begeistert. Alle haben den Moment der Atemlosigkeit wieder verdrängt und danken Carlos mit Applaus. Jetzt kommen auch die anderen beiden des Trios ins Spiel. Alejandro Marin Diaz, Carlos Neffe, besteigt das Fahrad und überquert das Seil. Als er wieder zurück ist, steigen Carlos und dessen Cousin Markus auf Alejandros Schultern. Wieder überqueren sie, diesmal zu dritt, das Seil. Die Zuschauer halten den Atem an. Doch nichts passiert. Sie zeigen ihre Bewunderung mit Applaus. Für das Trio Camadi ist der Auftritt beendet. Carlos und sein Team beobachten etwas Abseits den weiteren Verlauf der Show.
Müdigkeit nach der Show
Schließlich ist es 23 Uhr, die gesamte Show ist erfolgreich beendet. Carlos und die anderen Darsteller müssen noch einmal raus und sich vom Publikum verabschieden. Sie genießen die standing Ovations und verbeugen sich voller Dankbarkeit. Später als wir Carlos auf seine kleine Panne ansprechen, sagt er uns, dass ihn Fehler zwar frustrieren, dass sich dieser Frust aber durch den Applaus des Publikums wieder auflöst. Er macht seinen Job im Flic Flac, um andere Leute von ihren Alltagsproblemen abzulenken. Wenn er den Applaus hört, weiß er, dass er und alle anderen Darsteller wieder mal eine atemberaubende Show absolviert haben.
Nachdem die Menschenmenge das Zelt verlassen hat, packen alle Darsteller mit an. Alle wollen fertig werden. Das Equipment wird verpackt. Etwa eine halbe Stunde später findet sich Carlos mit seiner Familie im Wohnmobil ein. Alle sind müde. Das Bett ruft, denn morgen um fünf Uhr geht es weiter. So wie an jedem Tag im Circus Flic Flac.
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